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Kriegsgedenken im Parlament: Steinmeiers historische Rede an einem historischen Tag

2025-05-09
In politik Vom Stefanie Witte

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Als der Gong ertönt, huschen die letzten Abgeordneten zu ihren Plätzen. Zum zweiten Mal in dieser Woche herrscht eine feierliche Stimmung im Bundestag. Auf den Rängen die Ehrengäste, auf der Regierungsbank die neuen Minister – beinahe hätte hier noch das Kabinett Scholz sitzen müssen.

Viele tragen an diesem Donnerstagmittag schwarz. In Berlin ist dieser 8. Mai sogar ausnahmsweise ein Feiertag. Immerhin liegt das Ende des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft heute 80 Jahre zurück.

Ans Rednerpult tritt Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) und blickt auf den Ort des Geschehens, das Reichstagsgebäude, in dem sich gerade die Spitzen der Republik versammelt haben, spricht über die letzten Stunden des Krieges: „Ein Ende bahnte sich an. In den oberen Stockwerken schon die Rotarmisten, im Keller noch die deutschen Soldaten.“

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner

© imago/pictureteam/IMAGO/Matthias Gränzdörfer

Klöckner betont: „Das ungeheuerliche Ausmaß der deutschen Verbrechen, das ist bis heute nicht allen bewusst, oder schlimmer noch, viele wollen sich damit gar nicht mehr beschäftigen.“

In einfachen, verständlichen Worten formuliert und verurteilt die Bundestagspräsidentin den Wunsch vieler AfD-Vertreter, die dafür plädieren, mehr auf deutsche Heldentaten und Ruhm zu fokussieren als auf die Verbrechen der Nationalsozialisten. Klöckner beklagt im Zusammenhang mit Antisemitismus: „Während wir noch das ‚Nie wieder‘ beschwören, passiert es wieder schon. Auf unseren Straßen, im Netz und an Universitäten.“

Das Reichstagsgebäude ist ein gutes Gedächtnis.

Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin

Sie erinnert an die historische Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, vor 40 Jahren, der an das Leid der Frauen erinnert hatte, schwenkt dann zurück auf den historischen Ort des heutigen Geschehens.

„Das Reichstagsgebäude ist ein gutes Gedächtnis“, sagt Klöckner, erinnert an Rotarmisten, die sich hier verewigt haben und die Namen ihrer Heimatorte an die Wände geschrieben hatten. Sie seien nicht nur aus Russland, sondern auch aus der Ukraine gekommen, betont Klöckner und fügt hinzu, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine auch im Namen der Befreier von damals geführt werde: „Was für ein Missbrauch der Geschichte.“

Im Plenum und auf den Rängen Applaus, bei der AfD nur vereinzelt. Klöckner schließt mit einem kraftvollen Appell: „Wer befreit wurde, der ist auch verpflichtet zu verteidigen – die Freiheit.“

Um 13.04 Uhr tritt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ans Rednerpult und zitiert den Philosophen Jürgen Habermas mit dem Satz: „Wir sind alle Kinder des 8. Mai!“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Schnell geht es um die Ukraine und Deutschlands Verantwortung: „Ließen wir die Ukraine schutz- und wehrlos zurück, hieße das, die Lehren des 8. Mai preiszugeben!“ Am Applaus für diesen Satz beteiligen sich die Ränder des Parlaments, Linke und AfD, nicht, wie es noch häufiger während dieser Rede vorkommen wird, vor allem beim Thema Russland.

Auch Steinmeier geht auf die Weizsäcker-Rede ein und den Satz „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“. Der habe eine Zäsur im Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit markiert.

Weizsäcker-Rede als Maßstab

Die Weizsäcker-Rede – sie ist an diesem Tag Bezugspunkt und ein vielleicht sogar ein Maßstab in einer Situation, in der viele die Demokratie erneut in großer Gefahr sehen. Der damalige israelische Botschafter hatte diese Rede als Sternstunde in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnet.

Weizsäcker bezeichnete die Shoah als „beispiellos in der Geschichte“, benannte Opfergruppen wie Sinti und Roma und die kollektive Verantwortung der Deutschen, grenzte sie jedoch ab von persönlicher Schuld. Die beiden zentralen Sätze: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“

Was heute selbstverständlich klingt, war es damals nicht. Auch wenn die Gedanken, die der Bundespräsident geäußert hatte, nicht ganz neu waren.

Kurz zuvor, am 21. April 1985, hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl bereits bei einer Gedenkstunde in Bergen-Belsen betont: „Der Zusammenbruch der NS-Diktatur am 8. Mai 1945 wurde für die Deutschen ein Tag der Befreiung.“

Dennoch: Die Weizsäcker-Rede blieb ein Meilenstein. Der Bundespräsident veränderte damit den Diskurs, prägte ein neues Selbstverständnis. Zwei Millionen Exemplare wurden gedruckt, der Text in 13 Sprachen übersetzt.

Der 8. Mai ist als Tag der Befreiung inzwischen Kern unserer gesamtdeutschen Identität geworden

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

Steinmeier nimmt das an diesem Donnerstag, 40 Jahre später, auf und sagt: „Der 8. Mai ist als Tag der Befreiung inzwischen Kern unserer gesamtdeutschen Identität geworden. Und doch begehen wir diesen 8. Mai heute nicht in ruhiger Selbstgewissheit. Denn wir spüren: Freiheit ist nicht das große Finale der Geschichte. Freiheit ist nicht für alle Zeit garantiert.“

Heute müsse man nicht mehr fragen: „Hat der 8. Mai uns befreit? Die Antwort ist gegeben. Und die bleibt gültig. Aber wir müssen fragen: Wie können wir frei bleiben?“ Steinmeier weicht hier offenbar vom Manuskript ab, spricht entweder frei oder hat wie so oft bis zur letzten Sekunde an der lange vorbereiteten Rede gearbeitet.

Schließlich geht der Bundespräsident erneut auf Russland, aber auch das Verhalten der neuen US-Regierung ein, spricht über die internationale Ordnung, die auf Basis des Völkerrechts geschaffen wurde. „All das war nie perfekt, nie unumstritten. Aber dass sich nun ausgerechnet auch die Vereinigten Staaten, die diese Ordnung so maßgeblich mit geschaffen und geprägt haben, von ihr abwenden, das ist eine Erschütterung neuen Ausmaßes.“

Steinmeier greift Russland und die USA an

Dann, ein bemerkenswert politischer Satz eines Bundespräsidenten, fügt Steinmeier hinzu: „Und deshalb rede ich von meinem doppelten Epochenbruch – der Angriffskrieg Russlands und der Wertebruch Amerikas – das ist das, was das Ende dieses langen 20. Jahrhunderts markiert.“

Steinmeier führt aus: „Wir sehen mit Schrecken, dass selbst die älteste Demokratie der Welt schnell gefährdet sein kann, wenn die Justiz missachtet, Gewaltenteilung ausgehebelt, Freiheit der Wissenschaft angegriffen wird.“

Ohne die AfD direkt zu benennen, geht Steinmeier im nächsten Satz auch auf die Rechten ein: „Wir schauen auf unser Land, meine Damen und Herren, wir schauen auf unser Land, in dem extremistische Kräfte erstarken, in dem Institutionen der Demokratie verhöhnt werden, auch diejenigen, die sie repräsentieren, in denen Debatten vergiftet werden, wo mit den Sorgen von Menschen gespielt wird, das Geschäft mit der Angst betrieben wird und Menschen gegeneinander aufgehetzt werden.“

Kurz blickt Steinmeier nach rechts, dahin, wo Bernd Baumann, Alice Weidel, Tino Chrupalla und ganz rechts AfD-Ehrenpräsident Alexander Gauland sitzen. Letzterer hatte die NS-Zeit als „Vogelschiss“ bezeichnet.

Wer Gutes für dieses Land will, der schützt das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen.

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

„Wer Gutes für dieses Land will, der schützt das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen“, sagt Steinmeier nun. „Das, meine Damen und Herren, das erwarte ich von allen Demokraten in diesem Land.“ Applaus im Plenum und vereinzelt auch bei der AfD, deren Abgeordnete sich als Demokraten verstehen.

Der 8. Mai habe „uns noch viel zu sagen“, sagt Steinmeier nun und hält vor den nächsten Sätzen kurz inne, hebt die rechte Hand in einer Geste der Irritation, als er sagt: „Tatsächlich wundere ich mich manchmal über die Hartnäckigkeit, mit der manche, leider auch in diesem Hause, einen sogenannten ‚Schlussstrich‘ unter unsere Geschichte und unsere Verantwortung fordern.“

Erneuter Applaus, außer bei der AfD – es ist klar, wer gemeint ist. Steinmeier zitiert weiter die Rechten: „Ich wundere mich, wenn manche Erinnerung als Schuldkult diskreditieren. Was soll das eigentlich bedeuten? Dass wir vergessen, was wir wissen?“

Steinmeier appelliert – AfD schweigt

Die AfD-Fraktion hatte in einem Statement zum 8. Mai zuvor zwar von der „nationalsozialistischen Terrorherrschaft“ und „Verbrechen“ gesprochen, allerdings auch erklärt, der 8. Mai solle „nicht gedenkpolitisch missbraucht werden für einseitige und oberflächliche Geschichtsklitterung, gleichviel von welcher Seite. Er ist vielmehr bleibender Anlass, uns der gesamten Dimension unserer Geschichte bewusst zu werden und uns dieser auch zu stellen.“

Steinmeier dagegen ruft ins Plenum: „Wollen wir ein Land sein, das sich nur an vermeintlich glorreiche Zeiten erinnert und die Abgründe seiner Geschichte verharmlost oder leugnet? Wollen wir eine Demokratie sein, die vergisst, wo sie herkommt und was den Kern ihrer Identität ausmacht?“ Der Bundespräsident appelliert an die Abgeordneten: „Ich will sagen: Es ist so unendlich viel, was wir mit Versöhnung erreichen können und was wir erreicht haben. Meine Bitte ist, verehrte Abgeordnete: Lassen Sie uns weiter dafür arbeiten!“

Steinmeier appelliert weiter: „Vertrauen wir doch auf unsere Erfahrung! Stehen wir ein für unsere Werte. Erstarren wir jetzt nicht in Ängstlichkeit! Beweisen wir Selbstbehauptung!“

Dann spielt er erneut auf die USA an: „Wenn andere Demokratie, Freiheit und Recht einschränken, verteidigen wir sie erst recht“, sagt Steinmeier, schlägt dabei nachdrücklich aufs Pult. „Wenn auch in unserem Land die Zweifel daran größer werden, zeigen wir doch, dass jede und jeder Einzelne in einer Demokratie ein besseres und freieres Leben leben kann als in jeder autoritären Ordnung. Überzeugen wir möglichst viele von denen, die daran zweifeln! Gewinnen wir sie zurück für die Demokratie! Demokratie ist nie fertig. Demokratie ist anstrengend. Sie verlangt Engagement. Aber eine bessere Ordnung, meine Damen und Herren, gibt es nicht!“

Applaus im gesamten Plenum – AfD-Chefin Alice Weidel beteiligt sich nicht. Mit der National- und Europahymne endet die Gedenkstunde.

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