Stefan Leitl war – zumindest sah es so aus – ein glücklicher Mensch. Der Trainer von Hertha BSC trug ein stabiles Lächeln auf dem Gesicht. Und das aus gutem Grund. Am Abend zuvor hatte der Berliner Fußball-Zweitligist den Mittelstürmer verpflichtet, nach dem er so lange gefahndet hatte.
Dass die Lücke im Angriff mit Dawid Kownacki doch schon deutlich vor dem Start der neuen Saison geschlossen werden konnte, ist eine sehr erfreuliche Nachricht für Hertha BSC. Für all die zentralen Mittelfeldspieler im Kader der Berliner hingegen ist sie das womöglich nicht. Durch Kownackis Verpflichtung fällt für sie einer der ohnehin raren Plätze in der Startelf weg.
Gleich zu Beginn der Vorbereitung ist Trainer Leitl nach der großen Konkurrenz im Mittelfeld befragt worden. „Gut so“, antwortete er kurz und knapp. Vermutlich sieht er das immer noch so, auch wenn auf Herthas Trainer in den nächsten Tagen einige harte Entscheidungen zukommen.
Herthas Mittelfeldspieler
- Michael Cuisance
- Diego Demme
- Kennet Eichhorn
- Julius Gottschalk
- Leon Jensen
- Maurice Krattenmacher
- Boris Mamuzah Lum
- Paul Seguin
- Kevin Sessa
- Selim Telib
Die Vorbereitung auf die neue Saison geht in ihre finale Phase. An diesem Freitag bestreiten die Berliner beim FC Motherwell ihr sechstes und letztes Testspiel dieses Sommers – und womöglich gibt es dann auch schon deutlichere Hinweise darauf, wie Leitl das zentrale Mittelfeld eine Woche später zum Auftakt der neuen Spielzeit in der Zweiten Liga gegen Schalke 04 zu besetzen gedenkt.
Ausgerechnet der Spieler, dem zum Start der Vorbereitung die besten Chancen auf einen festen Platz in Leitls Stammelf nachgesagt wurden, könnte erst einmal außen vor sein. Paul Seguin war der erklärte Wunschspieler von Trainer Leitl. Beide haben in Fürth bereits zusammengearbeitet; beide haben dort das geschafft, was in der neuen Saison auch Hertha anstrebt: den Aufstieg in die Bundesliga.
„Ich bin nicht hier, weil Stefan mich sehr mag, sondern weil ich als Fußballer sehr gut bin“, sagt Seguin. Aber das hat er in der Vorbereitung nur sehr dosiert zeigen können. Lediglich im ersten Test, beim 3:0 gegen den Sechstligisten Ludwigsfelder FC, kam er eine Halbzeit zum Einsatz. Danach musste Seguin wegen Wadenproblemen pausieren. Zuletzt pendelte er zwischen Mannschaftstraining und individuellem Training.

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Seguins Unpässlichkeit hat vor allem Leon Jensen genutzt, der ablösefrei vom Karlsruher SC gekommen ist. In den Testspielen hinterließ der 28-Jährige, der sich selbst als ekligen Achter charakterisiert, einen konzentrierten und entschlossenen Eindruck. Dass er gegen Schalke von Anfang an auflaufen wird, wäre alles andere als eine Überraschung.
Das gilt auch für Diego Demme, den klarsten Sechser in Herthas Kader. Der 33-Jährige hat in der Vorbereitung den Trend bestätigt, der sich bereits am Ende der Vorsaison abgezeichnet hat. Nachdem Demme vor einem Jahr einen schweren Start in Berlin hatte und ab dem Herbst wegen diverser Verletzungen immer wieder ausgefallen war, hat er zuletzt immer besser seinen Rhythmus gefunden.
„Diego hat in der Zeit, die ich hier bin, sehr gute Leistungen gezeigt“, sagt Leitl, der seit Februar bei Hertha arbeitet. „Er ist im Training sehr aktiv und gibt eine gute Energie.“ Und er hat – was auf der Position des Sechsers nicht ganz unwichtig ist – wenig Fehler in seinem Spiel.
In einigen Tests hat Leitl neben den beiden eher defensiv orientierten Mittelfeldspielern zwei offensive Zehner aufgeboten. Das war mehr oder weniger eine Notlösung, weil ihm noch der zweite Stürmer neben Fabian Reese fehlte. Dank der Verpflichtung Kownackis kann Herthas Trainer nun aber wie geplant mit zwei Angreifern spielen.
Das bedeutet allerdings auch, dass eine Position im Mittelfeld wegfällt. Michael Cuisance und Leihspieler Maurice Krattenmacher sind die Kandidaten für die Rolle des Zehners, wobei Krattenmacher mit seinen Fertigkeiten auch als Backup für den Sturm infrage käme.
Insgesamt stehen Stefan Leitl acht Bewerber für die drei Plätze im Zentrum zur Verfügung. Vielleicht sind es sogar noch ein paar mehr. Auf jeden Fall gehören auch die beiden Teenager Boris Mamuzah Lum, 17, und Kennet Eichhorn, 15, zum Kreis der ernstzunehmenden Kandidaten. Dass sie in der Vorbereitung bei den Profis trainiert haben, war nicht nur als Schnupperkurs gedacht. Intern gelten beide bereits als vollwertige Mitbewerber.

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Mamuzah Lum, der im Frühjahr drei Monate ausgefallen ist und wegen der Vertragsverhandlungen mit Hertha offenbar auch mental blockiert war, hat sich in der Vorbereitung deutlich verbessert präsentiert. In den Testspielen wusste er durchaus zu überzeugen.
Aber auch bei Eichhorn ist Sportdirektor Benjamin Weber sicher, dass er in der neuen Saison zu ersten Einsätzen in der Zweiten Liga kommen und Mamuzah Lum als jüngsten Profi der Berliner ablösen wird. „Wahnsinn, was der Junge mit 15 schon drauf hat“, hat Paul Seguin gesagt. „Hut ab.“
Kevin Sessa muss auf die Außenbahn ausweichen
Mit Selim Telib, 19, und Julius Gottschalk, 18, trainieren aktuell zwei weitere Talente aus dem Nachwuchs bei den Profis, die ebenfalls im Mittelfeld zu Hause sind. Dazu kommt noch Kevin Sessa, der vor einem Jahr zu Hertha gewechselt ist, sich aber bisher nicht durchsetzen konnte. Leitl bot ihn in den Tests vor allem als rechten Außenverteidiger auf.
Andererseits spielt auf der linken Außenbahn mit Michal Karbownik jemand, den es tendenziell auch eher ins Zentrum zieht. Ein typischer Schienenspieler ist der Pole jedenfalls nicht, zumal er als Rechtsfuß auf der linken Seite spielt.
Und Jeremy Dudziak gäbe es theoretisch auch noch. Vor zwei Jahren hat Hertha ihn als linken Außenverteidiger verpflichtet. Ende Juni ist sein Vertrag ausgelaufen. Der 29-Jährige, der nahezu die komplette Vorsaison ausgefallen ist, durfte die Vorbereitung mit der U 23 absolvieren und sich dort für einen neuen Vertrag empfehlen.
Stefan Leitl hält seit der gemeinsamen Zeit in Fürth eine Menge von Dudziak. Als Linksverteidiger sieht er ihn allerdings nicht: „Wenn er fit ist, kann er einer der besten Mittelfeldspieler der Liga sein.“