Es geht um den Totenkopf-Magier aus der Lego-Ninjago-Saga. Um einen doppelten Fallrückzieher beim Fußballtraining, erst an die Latte, dann rein. Um eine Spongebob-Achterbahn, das Schlafen im Hochbett und die Angst davor, von den „rennenden Hühnern“ des Onkels verfolgt zu werden. Es sind Geschichten, die mitreißen, sich in verrückten Details verlieren oder so munter hin und her springen wie der Hase im Stall.
Erzählt haben sie Kinder im Alter zwischen vier und neun Jahren, junge Menschen aus Leipzig, Zürich, Duisburg, Mülheim an der Ruhr und Berlin. Aufgenommen, niedergeschrieben und zusammenmontiert wurden sie von den Performerinnen und Performern des Kollektivs vorschlag:hammer, das die gesammelten Einblicke in diese Erlebniswelten für ein erwachsenes Publikum auf die Bühne übersetzt.
Erzähltalent haben schon die Kleinsten
„Kindheiten“ heißt der Abend, der im Ballhaus Ost Premiere feierte. Kristofer Gudmundsson, Gesine Hohmann, Clara Minckwitz und Stephan Stock – bekleidet mit Sportklamotten aus dem mittleren Chic-Regal – begeben sich überwiegend in die Perspektive ihrer jungen Gesprächspartner und vollziehen mit ironiefreier Entflammtheit ganz Alltägliches, vermeintlich Banales nach. Eben das, was Kita- oder Grundschulkindern erzählenswert erscheint.
Berichtet wird von einem Sommerworkshop, „wo wir frei getanzt haben mit Anleitung“. Von einer staunenswerten Altersverwechslung: „Ich dachte, ich bin vier, aber ich war schon viereinhalb.“ Oder von der eigenen Geburt, an die allerdings wenige bis keine Erinnerungen bestehen, „nur wie ich rausgekommen bin, so seitlich“. Immerhin herrscht Gewissheit: „Ich war die Eizelle, die gewonnen hat, weil ich ja geboren wurde.“
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© Nicolas Rösener
All das wird jedoch nicht als herrlich putzig ausgestellt, sondern bedingungslos ernst genommen. Die Kinder werden auch nicht zu kleinen Unschuldsengeln verkitscht, sondern kommen auch mit ihrem überschießenden Spaß an Fäkalhumor vor oder in derben Streitsituationen, wo verbal die Fetzen fliegen („Ich box dir in den Pimmel!“).
„Kindheiten“ zielt darauf, Erwachsene zum Zuhören zu sensibilisieren, gerade dort, wo es nicht um Dramatisches oder Spektakuläres geht (nur am Rande ist mal von der Scheidungssituation der Eltern die Rede) – sondern schlicht um den eigenen Blick der Kinder auf die Welt. Darum, wie sie ihr Erleben in Worte fassen. „Das Problem ist“, heißt es einmal in einem nachgespielten Austausch zwischen Jung und Alt, „dass die Erwachsenen denken, ihr könntet noch gar keine Geschichten erzählen.“
Sie können. Leuchtendes Beispiel: die während der Stückentwicklung entstandene Abenteuerstory „Das Reiterhof-Geheimnis“ einer jungen Autorin. Die erzählt von einem Gestüt in finanzieller Schieflage (es fehlen 600 Euro!), von einem Schatz unterm Stroh – und natürlich von vielen Ponys und Pferden, die sämtlich namentlich aufgezählt werden. Erzähltalent zeigt sich aber genauso in Details, dort, wo vom „Mitbringtag“ in der Schule berichtet wird, von der Schlafsituation im heimischen Kinderzimmer oder davon, wie blöd es war, als einziges Kind in der Klasse keine Zuckertüte zu haben.
Weitere Aufführungen
Kindheiten im Ballhaus Ost. Inszeniert vom Kollektiv vorschlag:hammer. Mit Kristofer Gudmundsson, Gesine Hohmann, Clara Minckwitz und Stephan Stock. Nächste Vorstellungen am 17. Mai, 20 Uhr, und 18. Mai, 18 Uhr.
Die Performerinnen und Performer spielen dabei nicht nur mit dem biografischen Material der Kinder, sie re-enacten auch den eigenen Arbeitsprozess mit ihnen in Workshopsituationen, wo sie unter anderem wissen wollten: „Was war das wichtigste Ereignis in eurem Leben im vergangenen Jahr?“ (eine Frage, die postwendend an die vorschlag:hammer-Leute zurückgespielt wird). Oder: „Wie stellt ihr euch die Zukunft vor?“ (hier ganz oben auf der Liste: ein paradiesisches Land, in dem der Döner nur einen Euro kostet). Dass die Kinder hier nicht selbst auf der Bühne stehen, um ihre Geschichten zu erzählen, entspricht zwar nicht dem state of the art des Theaters für junges Publikum.

© Nicolas Rösener
Erst unlängst hat zum Beispiel das Festival „Augenblick Mal!“ gezeigt, dass Partizipation ein immer wichtigerer Faktor wird, dass junge Menschen immer mehr Mitspracherecht dort bekommen, wo es um sie geht. Aber diese Performance verfolgt eben ein anderes Konzept. Eins, das hervorragend aufgeht. Die Vermittlung der Kindererzählungen durch Erwachsene schärft die Auseinandersetzung mit der eigenen Bereitschaft, sich wirklich auf diese Inhalte einzulassen – statt sich damit abzulenken, wie die Kinder denn so auf der Bühne performen. Und das genaue Zuhören lohnt sich, weil es nachdenklich stimmt.
Die Performerinnen und Performer stellen in „Kindheiten“ die Frage, wo eigentlich eine Biografie beginnt, eine Lebensgeschichte, die diesen Namen verdient. Und gibt sich selbst die Antwort: ganz am Anfang. So wie Kinder eben auch altklug oder frühweise sein können. In bester Unaufgeregtheit blitzen hier immer wieder tolle, bedenkenswerte Sätze auf. Zum Beispiel: „Wenn ich älter werde, sterbe ich auch schneller.“ „Mein Lieblingstier ist der Baum.“ Oder: „Ich bleib’ für immer fünf.“