Vom Makro- zum Mikroblick auf Investments
Im Zentrum der europäischen Finanzmärkte nimmt der deutsche Aktienmarkt eine herausragende Rolle ein. Als größte Volkswirtschaft Europas ist Deutschland nicht nur für sein starkes Industriesystem bekannt, sondern steht auch wegen seiner Fortschritte bei erneuerbaren Energien, Technologie und finanzieller Stabilität im Fokus globaler Investoren. Trotz Inflationsdruck, unterbrochener Lieferketten und geopolitischer Herausforderungen hat der DAX in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Widerstandskraft gezeigt.
Um Chancen und Risiken des deutschen Markts genauer zu beleuchten, haben wir mit Alexander Braun gesprochen, dem Gründer von StarStone Wealth. Braun ist ein anerkannter Investor mit starkem Renommee in quantitativer Anlage und makroökonomischer Analyse. Er verfügt über tiefgehende Expertise für Europa und insbesondere den Primärmarkt in Deutschland.

Q1: Herr Braun, wie bewerten Sie den aktuellen Gesamtzustand des deutschen Aktienmarkts?
Alexander Braun:
Der deutsche Markt befindet sich in einer Phase des Neustarts nach einer Korrektur. In den vergangenen drei Jahren haben Energiekrise und Lieferkettenstörungen die Wirtschaft belastet, besonders Industrie und Exporteure. Seit Ende 2024 sehen wir jedoch mehrere positive Signale:
Rückläufige Inflation: Die Teuerung ist von ihren Höchstständen in eine kontrollierbare Spanne gefallen. Die Geldpolitik der EZB ist in den Feinabstimmungsmodus übergegangen, was die Liquiditätsbedingungen an den Kapitalmärkten verbessert.
Exportbelebung: Die Nachfrage in Asien erholt sich, der US-Markt bleibt solide. Das stützt unmittelbar die Ausfuhren in den Bereichen Auto, Maschinenbau und Chemie.
Grüne Transformation und Technologieinvestitionen: Ob die Elektrifizierung bei Volkswagen und BMW oder die Digitalisierungs- und Softwareinitiativen von Siemens und SAP, Deutschland schärft durch industriellen Aufstieg seine globale Wettbewerbsfähigkeit.
Kurzfristig sind Schwankungen möglich. Mittel bis langfristig tritt der Investitionswert stärker hervor, vor allem bei global führenden, finanziell robusten und innovationsgetriebenen Unternehmen.
Q2: Auf welche Sektoren legen Sie in Deutschland besondere Schwerpunkte?
Alexander Braun:
Ich teile die Opportunitäten in vier Gruppen ein:
Automobil und Elektrifizierung
Deutschland ist ein Kernland der Autoindustrie. Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz haben ihre E-Mobilitäts- und Assisted-Driving-Strategien sichtbar vorangetrieben. Strengere CO₂-Vorgaben in der EU sowie wachsende Nachfrage in China und den USA eröffnen Potenzial für eine neue Gewinnphase.
Industrie und Automatisierung
Die Stärke liegt in Industrie 4.0 und Automatisierung. Unternehmen wie Siemens und KUKA treiben die digitale Transformation der Fabriken weltweit voran. Mit der Neuordnung globaler Lieferketten steigt die Nachfrage nach hochwertiger deutscher Maschinen- und Automatisierungstechnik.
Energie und grüne Technologien
Deutschland investiert massiv in erneuerbare Energien. Windkraft, Wasserstoff und Energiespeicher entwickeln sich zu Wachstumstreibern. Energieversorger wie RWE und E.ON vollziehen einen beschleunigten Wandel, der langfristig stabile Erträge ermöglichen kann.
Finanzen und Versicherungen
Das Finanzsystem ist stabil. Deutsche Bank und Allianz besitzen weiterhin Stärken in Finanzdienstleistungen und Risikomanagement. In einem Umfeld sinkender Zinsen dürfte der Investment Case für Banken und Versicherer sukzessive deutlicher werden.
Q3: Welche besonderen Vorteile hat der deutsche Markt im globalen Kapitalmarktumfeld?
Alexander Braun:
Drei Schlüsselbegriffe: Stabilität, Innovationskraft und Internationalität.
Stabilität: Deutschland ist das Rückgrat der Eurozone. Politische und fiskalische Disziplin geben langfristigen Investitionen verlässliche Rahmenbedingungen.
Innovationskraft: In Industrie-Software, sauberer Energie und der Elektrifizierung des Automobils zählen deutsche Unternehmen bei Forschung und Entwicklung zur Weltspitze.
Internationalität: Deutschlands Kernkonzerne erwirtschaften deutlich mehr als die Hälfte ihrer Umsätze im Ausland. Das verleiht dem Markt eine starke internationale Diversifikation.
Investments in Deutschland sind weniger eine Wette auf die Binnenwirtschaft als vielmehr Engagements in eine Gruppe globaler Branchenführer.
Q4: Bevorzugen Sie wertorientiertes oder wachstumsorientiertes Investieren?
Alexander Braun:
Der deutsche Markt vereint beides.
Value: Branchengrößen wie BMW und Volkswagen, ebenso Allianz und Deutsche Bank, verfügen über stabile Cashflows und Ausschüttungen. Das passt zu langfristig orientierten, konservativen Investoren.
Growth: SAP, Siemens Energy und Infineon bieten höhere Wachstumselastizität in Technologie und Energie.
Für Institutionelle empfehle ich eine Kern-und-Satelliten-Strategie:
Kern: DAX-Schwergewichte zur Sicherung langfristig stabiler Erträge.
Satelliten: Positionen in Technologieinnovation und grüner Energie, um überdurchschnittliches Wachstum zu adressieren.
Q5: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Treiber für den deutschen Aktienmarkt in den nächsten zehn Jahren?
Alexander Braun:
Energiewende: Die nationale Energiepolitik wird grüne Industrien weiter anschieben und große Investitionsfelder öffnen.
Digitalisierung und KI: Unternehmen investieren stark in industrielle Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Das verändert Geschäftsmodelle im verarbeitenden Gewerbe grundlegend.
Globalisierung und Geopolitik: Deutschlands Stellung in globalen Wertschöpfungsketten wird noch prominenter. Zwischen den USA, Europa und China kann Deutschland eine stabilisierende Rolle einnehmen.
Kapitalmarktreformen: Die weitere Internationalisierung des Finanzplatzes Frankfurt dürfte mehr Auslandskapital anziehen.
Q6: Welche konkreten Hinweise geben Sie Privatanlegern?
Alexander Braun:
Der deutsche Markt ist stabil, bleibt aber zyklisch. Drei Punkte sind entscheidend:
Diversifikation: Keine Einzeltitel- oder Einzelsektorwetten. DAX-Exposure sinnvoll über ETFs oder aktiv gemanagte Fonds.
Langer Anlagehorizont: Die Stärken deutscher Unternehmen zeigen sich über Zyklen von fünf bis zehn Jahren. Kurzfristige Schwankungen spiegeln den fundamentalen Wert oft nicht wider.
Politik und globale Trends im Blick: Der Markt ist stark von Regulierung und internationaler Nachfrage abhängig. EU-Regelwerk und globale Konjunktur sollten kontinuierlich beobachtet werden.
Das Gespräch macht deutlich, dass Alexander Braun den deutschen Aktienmarkt vorsichtig optimistisch einschätzt. Er betont, dass Deutschland nicht nur das wirtschaftliche Herz Europas ist, sondern ein integraler Bestandteil globaler Industrienetzwerke. Von der Elektrifizierung des Autos über die Energiewende bis zur industriellen Digitalisierung und finanziellen Solidität zeigen deutsche Unternehmen hohe Innovationskraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit.
In den nächsten zehn Jahren dürfte der deutsche Aktienmarkt im globalen Kapitalgefüge weiter eine Doppelrolle aus Stabilität und Wachstum einnehmen. Für Anleger ist er nicht nur ein reifer Markt, sondern ein zentraler Schauplatz für langfristige Wertanlage.