Eineinhalb Minuten lang war es ganz still in der Stockhorn-Arena von Thun. Der Regen prasselte auf den Rasen, die Berge verschwanden weiter im Nebel und alle blickten gebannt auf Katalin Kulcsar. Dann zeigte die Schiedsrichterin auf den Mittelkreis und bei Hannah Eurlings bracht erneut der Jubel aus.
Wenige Sekunden zuvor hatte die Belgierin das zwischenzeitliche 2:2 gegen Spanien erzielt. Ihre anfängliche Freude über den Treffer gegen die Topfavoritinnen der Fußball-EM hatte zunächst nicht lange angehalten, weil Kulcsar beim Pass von Tessa Wullaert auf Abseits entschieden hatte.
Diesen Verdacht widerlegten allerdings die Videobilder, sodass Eurlings anschließend doch jubeln durfte. „Wenn du die Schnelligkeit, die Power und das Selbstvertrauen hast, ein Tor zu erzielen, wirst du treffen. Es kommt auf den Willen an“, sagte Belgiens Trainerin Elisabet Gunnarsdottir.
Bis dahin ging der Matchplan der Isländerin voll auf. Immer wieder hatte Belgien auf Konter gelauert und die schnelle Eurlings, die kürzlich zum 1. FC Union gewechselt ist, über die Außenbahnen in Laufduelle mit Spaniens Außenverteidigerin Ona Batlle geschickt.
Oftmals konnte sich Eurlings nicht durchsetzen, doch dann kam die 51. Minute, in der die 22-Jährige den entscheidenden Vorsprung hatte. Sie behauptete den Ball an der Straffraumkante und traf schließlich mithilfe des Innenpfostens ins Tor.
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Schon im Vorfeld sei der Videoschiedsrichter innerhalb des belgischen Teams thematisiert worden und dass dieser sich auch zum Vorteil auswirken könnte. „Wenn du einen guten Plan hast, wie man gegen Spanien kontert, hast du immer den Vorteil des Zweifels“, sagte Trainerin Gunnarsdottir. „Also lieber mit voller Geschwindigkeit durchlaufen und eine Abseitsposition riskieren, denn das ist notwendig, um hinter die Kette von Spanien zu kommen.“
Letztlich währte die Freude von Hannah Eurlings und dem belgischen Team nicht lange. Nur eineinhalb Minuten nach dem Ausgleich erzielte Spanien durch Esther González die erneute Führung und legte in der Folge noch weitere Tore zum 6:2-Endstand nach.
„Wir haben über eine lange Zeit sehr diszipliniert und mit Glaube gespielt, aber die zwei Minuten, nachdem wir das 2:2 geschossen haben, waren entscheidend“, bilanzierte Gunnarsdottir. „Ich bin sehr stolz auf mein Team, auch wenn unsere Leistung am Ende nicht gut genug für Spanien war.“
Eurlings ist Rekordtransfer der Köpenickerinnen
Der Treffer von Eurlings bleibt trotzdem historisch. Sie ist die erste Spielerin des 1. FC Union, die bei einer Europameisterschaft getroffen hat und das vor den Augen von Jennifer Zietz. Die Geschäftsführerin der Frauenabteilung bei Union befand sich am Montag unter den 7961 Zuschauenden in Thun und konnte sich selbst von der Qualität ihres Neuzugangs überzeugen. „Mit Hannah gewinnen wir eine international erfahrene Spielerin, die trotz ihres jungen Alters bereits viel Verantwortung übernommen hat – sowohl auf Vereinsebene als auch im Nationalteam“, hatte Zietz bei Bekanntgabe des Transfers Ende Juni gesagt.
Die 22-Jährige wechselte vom belgischen Erstligisten OH Leuven nach Köpenick und ist laut der belgischen Tageszeitung „De Standaard“, die von 120.000 Euro Ablöse berichtete, sowohl der teuerste Abgang aller Zeiten im belgischen Frauenfußball, als auch der Rekordtransfer der Frauenabteilung von Union. Bei den Köpenickern hat die Nationalspielerin bis 2028 unterschrieben und ist der siebte Sommerneuzugang.
Ihre fußballerische Laufbahn begann die Flügelspielerin, die auch im Sturm spielen kann, beim Lierse SK, ehe sie 2017 mit 14 Jahren in den Nachwuchs von Leuven wechselte. Dort debütierte sie bereits im Alter von 16 Jahren am ersten Spieltag der Saison 2019/20 in der Super League, der höchsten Spielklasse Belgiens. Im Dezember 2020 und damit einen Monat vor ihrem 18. Geburtstag kam Eurlings schließlich zu ihrem ersten Einsatz im A-Nationalteam.
Mittlerweile ist sie Leistungsträgerin bei Belgien und sorgte auch in der jüngsten Vergangenheit in Leuven für Furore. In der abgelaufenen Spielzeit erzielte die Offensivspielerin insgesamt 13 Tore, das wohl wichtigste gelang ihr aber im entscheidenden Duell der Finalrunde um die belgische Meisterschaft.
Nach sieben Jahren spüre ich, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um in eine höhere Liga zu wechseln.
Hannah Eurlings, über ihren Wechsel zum 1. FC Union
Gegen den Serienmeister RSC Anderlecht ebnete sie mit ihrem Treffer zum 1:0 den Weg zum ersten Meistertitel der Vereinshistorie und beendete gleichzeitig die siebenjährige Dominanz von Anderlecht. „Ich hätte nur davon träumen können, mich als belgische Meisterin zu verabschieden“, blickte Eurlings anschließend im vereinseigenen Interview zurück. „Nach sieben Jahren spüre ich, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um in eine höhere Liga zu wechseln.“

© IMAGO/Sportpix
Für Union verzichtet Eurlings auf die Champions League
Für die Köpenickerinnen verzichtet Eurlings sogar auf die Champions League. Mit Leuven hatte sie sich nämlich nicht nur die Meisterschaft, sondern erstmals auch die Teilnahme am europäischen Geschäft gesichert. Für Zietz eine Bestätigung von Unions Entwicklung im Frauenfußball: „Dass sie sich für Union entschieden hat, ist ein starkes Zeichen und unterstreicht unseren Weg. Wir freuen uns sehr, dass Hannah künftig unsere Farben trägt.“
Bei Union ist Eurlings eine von drei neu verpflichteten Stürmerinnen. Neben ihr hatten sich bereits Sophie Weidauer und Eileen Campbell für einen Wechsel nach Berlin entschieden.
Am Montagabend gab es schließlich noch schlechte Nachrichten für Belgien, gute aber für Union. Durch das Unentschieden im zweiten Spiel der Gruppe B zwischen Portugal und Italien, ist die EM für das belgische Team schon nach dem dritten Gruppenspiel am Freitag beendet. Um auf ein Weiterkommen hoffen zu dürfen, hätte es einen Sieg Portugals gebraucht.
Der Berliner Erstligist darf mit Eurlings also schon bald eine Spielerin begrüßen, die von sich behaupten kann, die Weltmeisterinnen aus Spanien zumindest für einen kurzen Moment geschockt zu haben.