Ausgerechnet jetzt, da eigentlich alle relevanten Akteure im Angesicht der Bedrohung eine eigene europäische Verteidigungsfähigkeit aufbauen wollen, droht dieser ein ganz empfindlicher Rückschlag. Das Future Combat Air System (FCAS), ein deutsch-französisch-spanisches Gemeinschaftsprojekt zur Entwicklung eines Luftkampfsystems für die Zukunft, steht möglicherweise vor dem Aus.
Am politischen Willen fehlt es eigentlich nicht für das 100-Milliarden-Euro-Vorhaben, mit dem für die 2040er-Jahre nicht nur ein neuer Kampfjet, sondern auch die zugehörige Plattform entwickelt wird, die auch ein unbemanntes Flugzeug steuern können soll.
Das Projekt war im Sommer Thema beim deutsch-französischen Regierungstreffen in Toulon. Schon kurz zuvor hatte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit seinem damaligen Amtskollegen Sébastien Lecornu angesichts der großen Bedeutung klar dazu bekannt: „Daher wollen wir bis zum Ende des Jahres auch Klarheit schaffen bei FCAS. Über die Hürden wird zu reden sein.“
Die Firmen liegen im Clinch
Die liegen klar bei den Industriepartnern, die sich in den vergangenen zwei Jahren heillos zerstritten haben. Der Chef des Dassault-Konzerns, der einst für Frankreichs Luftwaffe die Mirage-Jets gebaut hat und auch die aktuellen Rafale-Modelle herstellt, macht schon seit 2023 immer wieder gegen die vereinbarte Arbeitsteilung mobil. Damals fragte Éric Trappier in einer Anhörung, warum für FCAS „Arbeitsplätze in Frankreich geopfert werden, um sie in Ländern anzusiedeln, die sich für den Kauf des US-Kampfjets F-35 entschieden haben“.
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Die Forderung, dass sein Unternehmen 80 Prozent der Entwicklungsarbeiten am Kampfjet der nächsten Generation übernehmen soll, ist wiederum für den Airbus-Konzern inakzeptabel. Der baut aktuell den Eurofighter für die Bundeswehr und vertritt trotz seiner deutsch-französisch-spanischen Eignerstruktur in diesem Fall die industriepolitischen Interessen der Bundesrepublik.
FCAS muss neu durchstarten.
Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie in einem Brief an Verteidigungsminister Pistorius
Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie hat Pistorius vergangene Woche eine Art Brandbrief geschickt. Darin warnt dessen Hauptgeschäftsführerin Marie-Christine von Hahn den Minister davor, dem „Dominanzanspruch“ des Dassault-Konzerns nachzugeben, der dann darüber entscheiden würde, wie die Nachbarn bei welcher Fähigkeitsentwicklung eingebunden würden. „Der Fortbestand des deutschen militärischen Flugzeugbaus läge damit in den Händen eines einzelnen französischen Unternehmens“, heißt es in dem Schreiben. Dies hätte aus Verbandssicht „einen irreparablen Schaden für die deutsche Industrie zur Folge“.
Der Verband fordert, nicht mehr nur ein gemeinsames Kampfflugzeug als Nachfolger von Rafale und Eurofighter zu entwickeln. „FCAS muss neu durchstarten“, heißt es in dem Brief, „mit zwei sich ergänzenden Flugzeugen.“ Unterstützt wird die Forderung von der IG Metall, die in der Sache ebenfalls die beiden Sozialdemokraten Pistorius und Lars Klingbeil als Finanzminister und Vizekanzler angeschrieben hat.
Zwei Jets als denkbare Lösung
Die Variante mit zwei Jets dürfte daher ebenfalls zu den möglichen Optionen gehören, die sich das Verteidigungsministerium nun für das weitere Vorgehen überlegt. Basis dafür waren unter anderem Vorschläge der jeweiligen Vertragsparteien selbst. Zudem hatte Pistorius in der vergangenen Woche seine französische Amtskollegin Catherine Vautrin für ein Krisengespräch zu Gast.
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Entscheiden aber wird Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Spaniens Premier Pedro Sánchez, die sich von Mittwoch an drei Tage lang in Brüssel sehen. Das Thema ist Chefsache, weil das größte gemeinsame Rüstungsprojekt Europas auch auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs im Jahr 2017 seinen Anfang genommen hat. Freilich hat vor allem Macron zuletzt lernen müssen, dass sein Präsidentenwunsch nicht mehr automatisch Befehl an seine Wirtschaft ist.
Eine mögliche Alternative zur Kooperation light mit zwei getrennten Flugzeugen wäre der harte Schnitt und das komplette Aus. Deutschland könnte sich eventuell dem Global Combat Air Programme anschließen, das Großbritannien und Japan zusammen mit Italien vorantreiben. Auch Schweden, das bisher den Kampfjet vom Typ Gripen produziert, hat bereits Interesse an einer Zusammenarbeit signalisiert.
Wie grundsätzlich gerade über das Projekt nachgedacht wird, verdeutlicht die Aussage des zuständigen SPD-Haushälters Andreas Schwarz: „In diesem Moment geht es darum: Was ist der Mehrwert für die Truppe? Was bringt es der deutschen Wirtschaft? Und kann ich die Entscheidung dem deutschen Steuerzahler erklären?
Vor einem Ende der Kooperation zwischen Berlin und Paris warnt die deutsch-französische Parlamentsversammlung ganz ausdrücklich. In einem Beschluss vom Monatsanfang werden beide Regierungen unmissverständlich aufgefordert, „die gemeinsamen Rüstungsprojekte angesichts der geopolitischen Notwendigkeit und eingedenk des Vorbildcharakters der deutsch-französischen Zusammenarbeit als Säulen der industriellen und technologischen Basis der europäischen Verteidigung zum Erfolg zu führen“.
Ob Merz und Macron das noch in dieser Woche versuchen wie ursprünglich geplant, steht inzwischen wieder infrage – weil erst zwei für die deutsch-französischen Beziehungen möglicherweise noch wichtigere Themen geklärt werden müssen. Kann Frankreich wegen seiner agrarpolitischen Bedenken noch von einem Nein zum Mercosur-Freihandelsabkommen mit Lateinamerika abgebracht werden? Und bekommt Deutschland die eingeforderte Zustimmung zur Nutzung russischer Vermögenswerte in der EU für die Ukraine?
Möglicherweise ist dann in Brüssel dieser Tage keine Zeit mehr für FCAS. Falls dem so wäre, soll allerspätestens im Januar eine Entscheidung fallen.