In der SPD sorgt die Ankündigung von Außenminister Johann Wadephul (CDU) für Kritik, wonach Deutschland künftig bei Verteidigungsausgaben ein Ziel von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung anstreben könnte. Auch bei der Opposition sorgte die Aussage Wadephuls für Verwunderung.
„Ich rate dazu, dass jetzt niemand vorprescht und über Zahlen spekuliert“, sagte Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil am Donnerstag dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Zuvor war die Äußerung von Wadephul bereits aus Regierungskreisen relativiert worden.
Union und SPD hätten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass sie massiv in die Bundeswehr und in die Verteidigungsfähigkeit investieren, sagte der SPD-Ko-Chef. „Im Juni wird es dafür beim nächsten Nato-Gipfel eine gemeinsame Linie mit unseren Partnern geben. Daran werden wir uns orientieren, das wird die Richtschnur für die Bundesregierung sein“, fügte Klingbeil hinzu. So stehe es auch im Koalitionsvertrag.
Deutschland aktuell bei etwas mehr als zwei Prozent
Wadephul hatte vor dem Treffen der Nato-Außenminister in der Türkei gesagt, dass Deutschland hinter den Vorschlägen von US-Präsident Donald Trump und Nato-Generalsekretär Mark Rutte stehe, dass die Bündnispartner künftig für Verteidigung fünf Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung ausgeben sollten.
Wörtlich sagte er, laut „Bild“: „Ich komme mit der Botschaft aus Berlin, dass Deutschland bereit ist, die Verpflichtung (das 5-Prozent-Ziel, Anm. d. Red.) zu erfüllen.“ So ganz stimmte seine Aussage aber nicht, wie die „Bild“ schreibt. Weder mit Kanzler Friedrich Merz noch mit Klingbeil soll die Zusage abgesprochen gewesen sein. Beide wurden von den Medienberichten über Wadephuls Aussage überrascht.
Am Abend äußerte sich Merz nur indirekt zu Wadephuls Aussage. „Diese Diskussion um Prozentzahlen vom BIP, das ist eine Hilfskonstruktion, um mal Richtwerte zu haben, in welche Richtung wir denn mit der Aufrüstung der Streitkräfte gehen“, sagte Merz in der ZDF-Talksendung „Maybrit Illner“.
Stattdessen sollte es seiner Meinung nach mehr um die konkreten militärischen Fähigkeiten gehen: „Wir müssen die Fähigkeit entwickeln, den europäischen Kontinent aus eigener Kraft heraus verteidigen zu können.“ Auf die Forderung von US-Präsident Donald Trump, dass die Nato-Staaten fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgeben sollten, ging Merz nicht ein.
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Wadephul machte allerdings deutlich, dass vereinbart werden könnte, dass klassische Verteidigungsausgaben in Höhe von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausreichend seien, sofern gleichzeitig auch noch 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für militärisch nutzbare Infrastruktur ausgegeben würden. Ein solches Vorgehen hatte zuletzt Nato-Generalsekretär Mark Rutte vorgeschlagen.
Derzeit sieht das Nato-Ziel für die Verteidigungsausgaben lediglich jährliche Ausgaben in Höhe von mindestens zwei Prozent des BIP vor, was rund 90 Milliarden Euro entspricht. Nach jüngsten Angaben des neuen Kanzlers Friedrich Merz (CDU) würde jeder Prozentpunkt mehr für Deutschland derzeit ungefähr 45 Milliarden Euro mehr an Verteidigungsausgaben bedeuten.
Ich rate dazu, dass jetzt niemand vorprescht und über Zahlen spekuliert.
Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD)
Die Bundesrepublik lag zuletzt bei einer Quote von etwas mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Bei fünf Prozent wären nach Rechnung von Merz derzeit Verteidigungsausgaben in Höhe von 225 Milliarden Euro pro Jahr notwendig.
Klingbeil verteidigt hohe Verteidigungsausgaben
Zugleich verteidigte Klingbeil aber steigende Investitionen in die Bundeswehr. Man müsse jederzeit die Sicherheit Deutschlands gewährleisten können. „Wir dürfen nicht naiv sein gegenüber Russland. Putin bedroht mit dem brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch Europa“, mahnte Klingbeil.
Deutschland müsse vorangehen, um Europas Sicherheit und damit unsere eigene Sicherheit zu stärken. Deshalb habe man auch das Grundgesetz geändert, „damit wir jederzeit in unsere Sicherheit investieren können, ohne in die Situation zu kommen, dass wir dann kein Geld für Klimaneutralität, die Sicherung von Arbeitsplätzen oder für die Rente haben“, sagte Klingbeil.
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Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sprach sich gegen eine Vorfestlegung auf ein Ziel von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. „Entscheidend ist weniger die Prozentzahl. Entscheidend ist, dass die Nato-Fähigkeitsziele, die dann auch festgelegt werden, schnell, umfassend und zeitgerecht erfüllt werden“, sagte er am Donnerstag. Natürlich werde am Ende über drei Prozent oder mehr geredet.
Pistorius ließ auch Unzufriedenheit erkennen. „Also zunächst mal freue ich mich über einen sehr, sehr guten Start, den ich mit meinem Außenministerkollegen Jo Wadephul hatte und habe“, sagte er. „Gleichzeitig weiß er so gut wie ich: Die Aufstellung des Etats für Verteidigung liegt im Einzelplan 14, also in meinem Haus.“
Deutlicher in seiner Kritik wurde Ralf Stegner: „Es wäre glatter Irrsinn, wenn wir bei solchen Beträgen landen würden“, sagte der SPD-Außenpolitiker am Donnerstag dem „Stern“. „Wir müssen mehr tun, das ist klar“, sagte Stegner. Dafür hätten Union und SPD auch die Schuldenbremse für Sicherheitsausgaben gelockert. „Aber fünf Prozent, das kann man sich nicht vorstellen. Ich fände es auch falsch und bin sicher, dass das nicht kommen wird.“
Auch SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic warnte vor vorschnellen Festlegungen: „Ich rate allen, dass niemand jetzt allein vorprescht“, sagte er dem „Stern“. Er verwies auf den Koalitionsvertrag. Dort haben Union und SPD festgehalten, sie wollten die Verteidigungsausgaben „bis zum Ende der Legislaturperiode deutlich und stringent steigen“. Der Umfang soll sich „nach den in der Nato gemeinsam vereinbarten Fähigkeitszielen“ richten.
Kritik der Opposition
Die Grünen kritisierten einen „Prozent-Fetischismus“ in der Debatte. „Sicherheit im Bündnis entsteht nicht durch das Erfüllen starrer Quoten, sondern durch verlässliche Beiträge, die sich am tatsächlichen Bedarf orientieren“, sagte die außenpolitische Sprecherin Deborah Düring dem „Spiegel“.
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Es sei „ein verheerender Einstieg von Außenminister Wadephul, die bereits exorbitanten Militärausgaben noch weiter erhöhen zu wollen“, erklärte der Linken-Fraktionschef Sören Pellmann. Die Bundesregierung könne nicht „dringend gebrauchten Entlastungen für mittlere und kleine Einkommen mit dem Finanzierungsvorbehalt“ abmoderieren und gleichzeitig „fast unbegrenzte finanzielle Mittel für Aufrüstung“ bereitstellen.
Der haushaltspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Peter Boehringer nannte fünf Prozent Verteidigungsausgaben „praktisch nicht finanzierbar“. Denn dies wären für Deutschland jährlich rund 220 Milliarden Euro, sagte er dem Sender Welt TV. Dass Wadephul Trumps Fünf-Prozent-Forderung „eins zu eins ohne jede Verhandlung“ übernehme, sei „komplett absurd“.
Nato fürchtet Debakel
Die Nato wird über ihre Ausgabenziele bei Verteidigung voraussichtlich bei ihrem Gipfel Ende Juni in Den Haag entscheiden. Auch in der Militärallianz halten viele Länder fünf Prozent reine Verteidigungsausgaben für unrealistisch. Trump will, dass das Fünf-Prozent-Ziel dort beschlossen wird.
Bündnis intern wurde zuletzt damit gedroht, dass Trump ansonsten möglicherweise gar nicht anreisen könnte. Für die Nato wäre dies ein Debakel, da ihre Abschreckung noch immer maßgeblich auf den militärischen Fähigkeiten der atomaren Supermacht USA beruht.
Als ein möglicher Kompromiss wurde deswegen nun das Konzept entwickelt, das eine deutlich stärkere Anrechnung von Ausgaben für militärisch nutzbare Infrastruktur möglich machen soll. Dies würde vor allem denjenigen Staaten helfen, die klassische Verteidigungsausgaben in Höhe von fünf Prozent für nicht erreichbar oder erwünscht erachten.
Zu ihnen gehören insbesondere Länder, die wie Italien, Spanien, Belgien und Luxemburg bis zuletzt nicht einmal das Zwei-Prozent-Ziel erfüllten.
USA: Geht nicht nur um Raketen
Der US-amerikanische Nato-Botschafter Matthew Whitaker hatte sich zuletzt offen für die von Rutte vorgeschlagene Lösung gezeigt. Er sagte vor dem Ministertreffen in der Türkei, es sei ganz klar, dass es um mehr als nur Raketen, Panzer und Haubitzen, sondern auch um Dinge wie militärische Mobilität, notwendige Infrastruktur und Cybersicherheit gehe.
Als mögliche Frist für die Erfüllung eines neuen Ziels für die Verteidigungsausgaben gilt das Jahr 2032. So hatte US-Außenminister Rubio bereits im April bei einem Nato-Treffen in Brüssel gesagt, niemand erwarte, dass man fünf Prozent in einem Jahr oder zwei erreichen könne. Auch für die USA wäre das Erreichen des neuen Ziels ein finanzieller Kraftakt.
US-Außenminister Marco Rubio erklärte in der Türkei, dass sich in Kürze alle Nato-Partner auf das Fünf-Prozent-Ziel verpflichten werden. Erreicht werden soll es im Laufe der nächsten zehn Jahre.
Trump hatte bereits in seiner ersten Amtszeit immer wieder die aus seiner Sicht unzureichenden Verteidigungsausgaben der europäischen Alliierten kritisiert und diesen vorgeworfen, sich zu sehr auf den Schutz der USA zu verlassen. Mehrfach drohte er dabei sogar mit einem Nato-Austritt der USA. (Reuters, dpa)