An Heiligabend wird es sich Thomas gemütlich machen, zusammen mit seiner Freundin. Sie werden Teelichter anzünden, die Stille genießen, und weil sie in ihren Schlafsäcken liegen, haben sie es auch warm. Außerdem liegt ihr selbst gebasteltes Zelt im Unterholz, irgendwo in Berlin. Da ist für ihn auch die Gesamtatmosphäre friedlich und angenehm.
Aber am Nachmittag wird Thomas, der 35-Jährige, der seit Mai auf der Straße lebt und seinen Nachnamen nicht nennt, in der Bahnhofsmission am Ostbahnhof sitzen. So wie an diesem Tag Mitte Dezember. Er wird an Heiligabend Kartoffelsalat und Würstchen essen, das Festmenü an diesem Tag. Aus den Boxen erklingen dann Weihnachtslieder, die Ehrenamtler sind freundlich wie immer, die Stimmung ist friedlich, wohlige Wärme in den Räumen.
Wir sind von Obdachlosigkeit umgeben.
Silvia Härle, Sozialarbeiterin in der Bahnhofsmission am Ostbahnhof
Kartoffelsalat und Würstchen sind etwas Besonderes in Deutschlands ältester Bahnhofsmission. Sie müssen von Spendengeldern bezahlt werden, wie viele andere Lebensmittel auch. Genau deshalb bittet die Bahnhofsmission die Tagesspiegel-Leser um Spenden. Mit denen sollen aber auch warme Socken, Unterwäsche, Schals oder Schlafsäcke gekauft werden.
Dinge, die fast alle Besucher dieser Bahnhofsmission benötigen. 150 Personen kommen täglich. „Wir sind von Obdachlosigkeit umgeben“, sagt Silvia Härle, die Sozialarbeiterin der Einrichtung. Rund 30 Personen, viele ehrenamtlich, kümmern sich um die Menschen, die hier Gäste heißen. „90 Prozent der Gäste haben Auffälligkeiten“, sagt Silvia Härle. „Alkohol, Drogen, Obdachlosigkeit.“
Spendenaktion „Menschen helfen!“
© PR/Menschen helfen
Für die Weihnachtsaktion „Menschen helfen!“ 2025/26 hat der Tagesspiegel-Spendenverein aus den Bewerbungen einen Kreis von mildtätigen und gemeinnützigen Trägern des Sozialwesens herausgesucht. In unserer Spendenserie stellen wir einige stellvertretend vor. Heute: „IN VIA, katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit für das Erzbistum Berlin“ mit dem Projekt „Bahnhofsmission am Ostbahnhof“.
Unsere Leser bitten wir um Spenden auf das Konto von „Menschen helfen!“.
Das Spendenkonto:
Empfänger
Spendenaktion
Der Tagesspiegel e.V.
Verwendungszweck
„Vor- Nachname, Adresse“
Berliner Sparkasse
IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42,
BIC: BELADEBE
Die Bahnhofsmission gibt diesen Menschen vor allem seelische Wärme, tiefer kann Hilfe für sie nicht gehen. „Diese Menschen brauchen vor allem freundliche Worte“, sagt Svenja Schulte, die kaufmännische Leiterin von „IN VIA“, dem Träger der Bahnhofsmission.
Thomas kommt fast täglich. Er erzählt einiges über sich. Studium der Forstwirtschaft, posttraumatisches Stresssymptom, zwei unerfreuliche Jahre in einem Wohnheim, das Gefühl von Freiheit auf der Straße und sehr nette Menschen hier in der Bahnhofsmission. Deshalb taucht er regelmäßig hier auf.
Die Gäste bekommen eine Tüte mit Geschenken
Er wird an Heiligabend, wie alle anderen Gäste, eine Geschenktüte erhalten, gefüllt mit Unterwäsche, Hygieneartikeln, Süßigkeiten, alles gespendet. Aber es gibt hier keinen Christbaum, keinen Gottesdienst, keine gesungenen Lieder. „Wir würden gerne Heiligabend zelebrieren“, sagt Silvia Härle, „aber das schaffen wir nicht.“
Schon Würstchen und Kartoffelsalat sind eine enorme Herausforderung. Die Bahnhofsmission hat keine Küche, zu wenig eigenes Geschirr, das Essen muss extern warm gemacht werden. Aber für die meisten Gäste hier zählt ohnehin etwas ganz anderes. „Die Verlässlichkeit ist wichtiger an diesem Tag“, sagt Silvia Härle.
Zuwendung und Verlässlichkeit
Die Verlässlichkeit, dass die Bahnhofsmission auch an Heiligabend geöffnet hat, dass sie vormittags und nachmittags Menschen mit Kaffee, Tee, Frühstück, Gebäck, Kuchen und vor allem viel Zuwendung versorgt. Eine seelische Rettungsinsel inmitten einer rauen Welt, auch wenn jeder nur eine halbe Stunde bleiben darf.
„Viele“, sagt Silvia Härle, „wissen gar nicht, dass Heiligabend ist, sie verbinden mit diesem Tag nichts.“ Sehr viele der Gäste kämen aus Osteuropa, sie wollen Wärme und Schutz, der Rest interessiert sie wenig. Sie wissen nicht, dass sich jedes Jahr viele Ehrenamtler bei der Bahnhofsmission melden, die genau an Heiligabend mitarbeiten wollen. Ein Ehepaar packt seit Jahren regelmäßig mit an.
Doch das Essen ist hier ein permanentes Problem. Natürlich gibt es genügend Lebensmittelläden oder Bäckereien in der Umgebung, die Überzähliges abgeben. Aber oft reicht das Angebot nicht, dann muss die Bahnhofsmission nachkaufen.
Nächstenliebe kann auch ein Knochenjob sein. Die Mitarbeiter der Bahnhofsmission vermitteln Menschen in prekären Situationen ganz viel Kraft und Zuversicht. Aber diese Kraft hat auch einen hohen Preis. „Jeder Tag hier ist eine Herkulesaufgabe“, sagt Silvia Härle. „Wir sind hier an der Grenze.“