Eigentlich waren so viele Menschen überall voller Hoffnung, doch jetzt hat sich die Lage wieder geändert. „Es wollen gerade mehr Menschen aus Syrien flüchten, als dass Geflüchtete in die frühere Heimat zurückkehren wollen, weil es einfach keine Stabilität gibt“, sagt Metin Rhawi von der „European Syriac Union“, an diesem Donnerstag extra aus Schweden nach Berlin gekommen. Es fehle Syrien an „auch in der Regierung abgebildeter Diversität und demokratischer Regierungsführung“.

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Rhawi ist einer von acht Vertreterinnen und Vertretern der sogenannten Minderheiten in Syrien, die auf Einladung der Linken-Fraktion im Bundestag im Paul-Löbe-Haus mit Politikern diskutieren. Und sie wollen mit allen Parteien reden, denn die „systematische Gewalt“ in Syrien solle nicht parteipolitisch missbraucht, sondern gesellschaftlich und politisch verhindert werden.
So sei immer die Rede von Minderheiten, dabei seien es doch nur verschiedene gesellschaftliche Gruppen, die Ureinwohner des Landes, und Syrien sei eine pluralistische Gesellschaft gewesen, jetzt finde man sich aber nicht in der Regierung wieder, kritisiert Metin Rhawi.
Mehr wollen flüchten als bleiben
Aktuell würden Menschen von der islamistischen Regierung, die Werte eines veralteten Osmanischen Reiches vertrete, gezwungen, zum Islam zu konvertieren – oder das Land zu verlassen.
Die Versprechen, die Ahmed al-Scharaa gegenüber der EU und den USA abgegeben hat, alle gesellschaftlichen Gruppen zu schützen, dagegen habe er nachhaltig verstoßen, kritisiert Rhawi. „Mit dem Mann der mit Al-Scharaa unterschreibt, aber agiert wie Muhammad al-Dscholani, darf nicht blind kooperiert werden.“ Von 2017 bis 2025 war der heutige Interimspräsident der Anführer des syrischen Milizbündnisses Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS), das mit einer Rebellenoffensive vergangenes Jahr Baschar al-Assad entmachtete.

© Annette Kögel
„Wenn es einen wichtigen Zeitpunkt für Deutschland und Europa gibt, auf den neuen syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa einzuwirken, ist das jetzt“, sagt die außenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag, Cansu Özdemir, an diesem Donnerstag. Sie meint die Massaker in der von Drusen bewohnten Region nahe Jordanien, aus der jetzt Zehntausende fliehen mussten. Daher sei es kritisch zu sehen, dass die Bundesregierung an Rückführungen denke.
Natürlich käme sie nicht umhin, mit dem – vermutlich über Jahre – Interimspräsidenten zu verhandeln, sagte der Linken-Parteivorsitzende Jan van Aken. Aber der Bund müsse die Forderung aufstellen, dass alle gesellschaftlichen Gruppen ins Gespräch mit dem Präsidenten kommen können, dies sei bislang nicht gelungen.
Die Schweiz als Vorbild?
Auf die Frage, wie es möglich sein kann, in einem Land, das von Kämpfen und Diktatur geprägt sei, ein nicht gelerntes pluralisitsches System einzuführen, wurde als Beispiel das Kanton-Prinzip der Schweiz genannt. Dies könne aber nicht eins zu eins übernommen werden.
Insgesamt acht Repräsentanten syrischer sogenannter Minderheiten aus ganz Deutschland und Europa appellierten an den Bund, Europa und die Welt, dem Präsident al-Scharaa nach den Massakern in Suwaida Grenzen zu setzen. Es müsse eine unabhängige Untersuchungskommission der Massaker gegen Drusen und jene gegen Alawiten von Mai geben, forderte der syrische Vertreter aus Schweden. Es seien Frauen und Kinder entführt worden für sexualisierte Gewalt, diese müssten zurückgeholt werden, wie auch die noch vermissten Jesidinnen.
Länder wie die USA dürften die Sanktionen gegen Syrien nur in Verbindung mit Forderungen nach einem pluralistischen System aufheben. Der Aufbau von Parteien müsste unterstützt werden. Zudem solle die Lage in den Kurdengebieten unter Beobachtung gehalten werden, dort drohe, dass der ehemalige HTS-Vertreter Ahmed al-Scharaa womöglich IS- oder HTS-Gefangene begnadigen oder befreien lassen könne, betonte Metin Rhawi auf Nachfrage des Tagespiegels.
Solidarität für Drusen aus Deutschland
Es sei wichtig, dass die deutsche Öffentlichkeit wisse, dass die Drusen in Deutschland viele Solidaritätsbekundungen von Sunniten aus Syrien und in Berlin erreicht haben, diese würden eine öffentliche Stellungnahme nicht wagen. „Es ist nur eine islamistische Minderheit unter den Sunniten, die die Massaker unterstützen“, sagte Tareq Alaows, als „Vertreter der Drus:innen“ und von ProAsyl in Berlin. Die Bundesregierung solle sich dafür einsetzen, dass die verschiedenen ethnischen und religösen Gruppen endlich von der Übergangsregierung gehört und inkludiert werden.
In Berlin leben zahlreiche aus Syrien geflüchtete Drusen, die mit Entsetzen und Fassungslosigkeit die jüngsten Freudenfeiern syrischer Islamisten und Anhängern des neuen syrischen Machthabers über die Massaker in der vormals 304.000 Einwohner starken Stadt Suwaida an der Grenze zur Jordanien verfolgten.
Nach Angaben auf der Pressekonferenz seien aktuell 1400 Menschen ermordet worden. Drusen sind in Syrien teils verhasst, weil ihnen enge Verbindungen mit Israel zugeschrieben werden.
Ein Demonstrationszug unter dem Motto „Solidarität mit den Drusen“ startet am Freitag, 25. Juli, um 15 Uhr in Berlin vor dem Auswärtigen Amt. Die Demo soll zum Brandenburger Tor führen, die Kundgebung wird vor der US-Botschaft stattfinden. Eingeladen seien alle Menschen jeglicher Religions- oder ethnischen Zugehörigkeit, sagte der Berliner Drusen-Vertreter Tareq Alaows bei der Pressekonferenz zahlreicher Vertreterinnen und Vertreter unter anderem von syrischstämmigen Drusen, Alawiten, Kurden, Jesiden und Aramäern aus Deutschland und Europa.