Die gewaltsame pro-palästinensische und israelfeindliche Nakba-Demonstration in Berlin am Donnerstagabend, bei der ein Polizist niedergetrampelt und schwer verletzt wurde, könnte Folgen für das Berliner Versammlungsrecht nach sich ziehen. Außerdem kündigte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) ein hartes Vorgehen gegen die Täter an.
Das Versammlungsfreiheitsgesetz sehe die Möglichkeit vor, Demonstrationen zu verbieten, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Matz, dem Tagesspiegel. „Warum die angemeldete ‚Nakba‘-Demo nur beschränkt, aber nicht verboten wurde, muss genau nachgearbeitet werden. Wenn erforderlich, werden wir das Gesetz hier gezielt ändern.“
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Burkard Dregger, kündigte – auch angesichts der aktuellen Ausschreitungen – eine umfassende Verschärfung des Berliner Versammlungsrechts an. „Wir werden dem Missbrauch des Demonstrationsrechts Einhalt gebieten“, sagte Dregger dem Tagesspiegel. Er forderte, das Versammlungsrecht so restriktiv auszugestalten, wie es das Grundgesetz zulässt.
Erste Gespräche über Reform laufen bereits
Die schwarz-rote Koalition hatte sich ohnehin darauf verständigt, das 2021 von Rot-Rot-Grün eingeführte Versammlungsfreiheitsgesetz wissenschaftlich zu evaluieren. Das Gesetz gilt als vergleichsweise liberal. Die Evaluation wurde vergangenes Jahr beauftragt, liegt nach Tagesspiegel-Informationen aber noch nicht vor. Dennoch laufen bereits erste Gespräche über eine Reform des Versammlungsrechts zwischen CDU und SPD.
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Als wahrscheinlich gilt, dass der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ wieder in das Gesetz aufgenommen wird. Darauf hatten sich SPD und CDU bereits im Koalitionsvertrag verständigt. Mit Verweis auf die „öffentliche Ordnung“ können Versammlungen in ihrer Art und Weise beschränkt, jedoch nicht verboten werden.
Aktuell sieht das Versammlungsfreiheitsgesetz anstellte des Begriffs „öffentlicher Ordnung“ eine Reihe konkreter Anwendungsfälle vor, die eine Beschränkung, ein Verbot oder eine Auflösung einer Versammlung begründen. Inwieweit sich der Spielraum der Polizei durch die Wiedereinführung des Begriffs erweitern würde, ist offen.
Innensenatorin kündigt hartes Vorgehen an
Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kündigte indes ein hartes Vorgehen gegen die Täter an. „Die gestrige Demonstration in Berlin ist in erschreckender Weise eskaliert. Wer das hohe Gut der Meinungs- und Versammlungsfreiheit mit Hassparolen, Hetze und Gewalt gegen Einsatzkräfte missbraucht, stellt sich außerhalb unserer demokratischen Grundordnung“, sagte Spranger dem Tagesspiegel am Freitagmorgen.
„Die Ausschreitungen sind ein Angriff auf unseren Rechtsstaat. Wer Polizeibeamte angreift, greift uns alle an. Diese brutale Gewalt gegen Einsatzkräfte hat mit politischem Protest nichts zu tun“, sagte Spranger. „Wir werden hart und konsequent gegen diese Täter vorgehen. Die Sicherheit unserer Stadt und der Schutz unserer Einsatzkräfte haben höchste Priorität.“
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte noch am Donnerstagabend erklärt: „Der Angriff auf einen Berliner Polizisten bei der Demonstration in Kreuzberg ist nichts anderes als ein feiger, brutaler Gewaltakt. Wer Einsatzkräfte angreift, greift unseren Rechtsstaat an – und damit uns alle.“ Berlin sei eine weltoffene Stadt, aber eines sei klar: „Wer das Demonstrationsrecht missbraucht, um Hass zu säen, antisemitische Hetze zu verbreiten oder Gewalt zu verüben, dem werden wir konsequent mit allen Mitteln des Rechtsstaates begegnen.“
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) verurteilte bei einer Rede im Bundestag die Gewalt bei der Demonstration. Der Vorfall sei leider kein Einzelfall. Die Polizei brauche generell kein Misstrauen, sondern gute Ausstattung und „Rückendeckung durch die Politik“, sagte Dobrindt.
Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) forderte am Freitag eine „grundsätzliche versammlungsrechtliche Neubewertung bei sogenannten pro-palästinensischen Demonstrationen“. Die Demonstration hätte untersagt werden sollen, hieß es in einer Mitteilung der Organisation. Häufig handele es sich bei Pro-Palästina-Demos um „reine Israelhass-Veranstaltungen“.
Demonstranten traten auf Polizist ein
Bei der Demonstration in Kreuzberg kam es zu Tumulten und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Die Demo-Teilnehmer verhielten sich äußerst aggressiv, bewarfen Polizisten am Südstern mit Getränkedosen und anderen Gegenständen und bespritzen sie mit roter Farbe. Laut Polizei wurden auch Flaschen und ein Stein geworfen.
Elf Beamte sind verletzt worden, einer davon schwer. Der 36-Jährige ist Gruppenführer in der 24. Einsatzhundertschaft und gehört zu einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit. Als er eine Person festnehmen wollte, wurde er von Demonstranten in die Menge gezogen.
„Dabei ist er gezielt angegriffen und zu Boden gebracht worden. Dann wurde auf ihn eingetreten“, sagte Polizeisprecher Florian Nath. Der Mob sei dann auf ihn draufgesprungen. Andere Beamte retteten ihren Kollegen und mussten dafür massive Gewalt einsetzen. Am Rande der Demo brach der Polizist ohnmächtig zusammen.
Nach vorläufigen Angaben erlitt der Beamte eine Fraktur am Arm und mehrere heftige Prellungen am Oberkörper. Offenbar habe die Schutzausrüstung den Beamten vor schlimmeren Verletzungen bewahrt, hieß es.
Nun übernimmt die Generalstaatsanwaltschaft Berlin die Ermittlungen. Die Behörde wertet den Vorfall als einen „Angriff auf Organe des Rechtsstaats“, wie Sprecher Sebastian Büchner der Deutschen Presse-Agentur (DPA) mitteilte. Wegen der Bedeutung des Einzelfalls habe sie das Verfahren übernommen. Die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt demnach wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs.
Neben den Beamten wurden laut Polizei auch Demonstrationsteilnehmer verletzt, Betroffene seien in Krankenhäuser gebracht worden.
56 Personen wurden nach Behördenangaben festgenommen. Zwei von ihnen wurden noch am Freitag einem Richter zum Erwirken eines Unterbindungsgewahrsams vorgeführt. Wie die Polizei am Nachmittag mitteilte, bestätigte das Gericht eine vorübergehende Weiterführung des Gewahrsams, um zu verhindern, dass die Personen erneut Straftaten begehen. Für Sonnabend ist bereits die nächste Nakba-Demo angekündigt – der Unterbindungsgewahrsam würde verhindern, dass die beiden Personen auch an dieser teilnehmen.
Gegen alle Verdächtigen werde wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung, besonders schweren Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Beleidigung ermittelt, hieß es.

© dpa/Christophe Gateau
Mehr als 1100 Menschen hatten laut Polizei an der Demonstration aus Anlass des palästinensischen Gedenktags Nakba teilgenommen. Dieser erinnert an Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im ersten Nahostkrieg 1948, nachdem mehrere arabische Länder Israel nach der Staatsgründung angegriffen hatten.
Auch in den vergangenen Jahren kam es bei den Nakba-Demonstrationen immer wieder zu Gewalt. Diesmal entzündete sich die Wut der Demonstranten an dem gerichtlich bestätigten Verbot: Sie durften nicht auf einer Strecke vom Südstern nach Neukölln laufen, sondern die Versammlung nur stationär am Südstern abhalten.
Polizei prüft Auswirkungen auf kommende Versammlungen
Die Polizei hatte den Aufzug zunächst untersagt und nur die Versammlung zugelassen, um befürchtete Ausschreitungen besser eindämmen zu können. Die Anmelder zogen dagegen per Eilantrag vor das Verwaltungsgericht und bekamen zunächst recht. Die Polizei legte dagegen Beschwerde ein, das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) bestätigte dann das ursprüngliche Verbot.
Die Polizei prüft nun mögliche Auswirkungen auf vergleichbare Versammlungen in Berlin. Aufgrund der Ereignisse am Donnerstagabend wird das Einsatzkonzept für eine am Sonnabend geplante Demonstration nochmals erläutert, wie ein Polizeisprecher sagte. Zudem liefen Gespräche mit dem Veranstalter.
Wegen des Gedenktages Nakba ist für Samstagnachmittag in Mitte eine Demonstration mit dem Titel „Anlässlich 77 Nakba Tag“ angemeldet. Sie soll am Potsdamer Platz starten und über die Hauptstraße zum Innsbrucker Platz in Schöneberg führen. 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden erwartet. Laut Polizei ist noch nicht entschieden, ob diese Pläne beschränkt werden. Denkbar wäre, lediglich eine Kundgebung an einem festen Ort zuzulassen, statt eines Protestzuges.