Will Deutschland klimaneutral werden und Industrieland bleiben, braucht es Wasserstoff. Vor allem grünen Wasserstoff, der mittels Solar- oder Windenergie produziert wird, so sah das die vorherige Bundesregierung. Manche Industrieprozesse wie zum Beispiel die Stahlproduktion lassen sich nicht elektrisieren, und anders als bei Erdgas oder Öl entsteht beim Verbrennen von H₂ als Abfallprodukt nicht CO₂, sondern vor allem – Wasser.
Das Problem: Was in der Theorie sehr gut klingt, muss erst noch in die Praxis überführt werden. Hier häuften sich zuletzt die schlechten Nachrichten. Im sächsischen Boxberg hat der Energiekonzern Leag ein geplantes Wasserstoffkraftwerk auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt.
Auch der Stahlhersteller Arcelor-Mittal hat seine Pläne zur Produktion von Stahl mittels grünem Wasserstoff in Brandenburg und Bremen gestoppt. Zu unsicher die Ausbaupläne der Regierung, zu hoch die erwarteten Kosten für das H₂.
Jetzt liegt aus dem Wirtschaftsministerium ein Referentenentwurf für ein Wasserstoff-Beschleunigungsgesetz vor. CDU-Ministerin Katherina Reiche will den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft mit einer Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren vorantreiben, zudem rückt der Fokus weg vom „grünen“ Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien. Im Referentenentwurf geht es um „klimaneutral produzierten Wasserstoff“. Also „blaues“ H₂ aus Erdgas, das dabei entstehende Kohlendioxid wird abgeschieden und gespeichert.
Wir haben drei Experten in unserer Rubrik „3 auf 1“ befragt, ob das der große Wurf ist oder ob die Regierung doch droht, den Hochlauf der Wasserstoffinfrastruktur zu versäumen:
Das neue Gesetz reicht nicht aus

Jörg Steinbach ist habilitierter Chemie-Ingenieur und war von 2018 bis 2024 SPD-Wirtschaftsminister in Brandenburg. Er sagt: Ein verspäteter Hochlauf gefährdet nicht nur die Klimaziele, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie.
Beim nun bekannt gewordenen Entwurf des Wasserstoff-Beschleunigungsgesetzes geht einiges in eine bessere Richtung als letzte Aussagen von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche befürchten ließen. Es bleibt aber die Debatte um die Wasserstoff-Infrastruktur. Entscheidend ist hier die Reihenfolge: Erst muss eine verlässliche Versorgung erkennbar sein, dann dekarbonisiert die Industrie.
Die Aussage der Ministerin, die Industrie verabschiede sich von der Dekarbonisierung mit Wasserstoff, ist ein Beleg für das Versäumnis der Regierung, den Unternehmen klare Signale für eine verlässliche Versorgung mit H₂ zu geben. Nun zu sagen, für die Wirtschaftlichkeit der Infrastruktur fehlten die Abnehmer, ist ein kreatives auf den Kopf Stellen des wirklichen Kausalzusammenhangs.
Die aktuelle Unsicherheit über den H₂-Preis in 2030 erfordert mutige Investitionen in Wasserstofftechnologie, basierend auf Überzeugung und langfristiger Vision. Unternehmen brauchen hierfür Anreize. Ein verspäteter Hochlauf gefährdet nicht nur die Klimaziele, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Das vorgestellte Gesetz wäre ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt.
Daher ist es unerlässlich, jetzt weitere Weichen für eine zukunftsfähige Wasserstoffwirtschaft zu stellen.
Chinas Dominanz droht auch beim Wasserstoff

Felix Matthes ist Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik am Öko-Institut e.V. und Mitglied des Deutschen Wasserstoffrats. Er sagt: Die deutschen Wasserstoff-Ziele werden auch im Lichte des neuen Gesetzentwurfes wohl krachend verfehlt.
Ohne Wasserstoff für die Industrie, das Stromsystem, den Flug- und Schiffsverkehr sowie Teile des Langstrecken-Schwerlastverkehrs gibt es keine Klimaneutralität. Aber die deutschen Wasserstoff-Ziele werden auch im Lichte des neuen Gesetzentwurfes wohl krachend verfehlt.
Die Planungen und das Finanzierungsmodell des Wasserstoff-Kernnetzes sind dabei durchaus wichtige Errungenschaften. Aber dem entgegen stehen die (von allen Seiten) überpolarisierte Debatte zu grünem und blauem Wasserstoff, die teilweise unangemessenen und kostentreibenden Zertifizierungsanforderungen, vor allem aber das weitgehende Wegbrechen der notwendigen Finanzierungsinstrumente.
Wenn Wasserstoffhochlauf und Klimaneutralität gelingen sollen, sind neben der Adressierung vieler kleinerer Themen (Versorgerstrukturen, Genehmigungsbeschleunigung und -vereinfachung, Markttransparenz etc.) vor allem die Verfügbarmachung der notwendigen Mittel für die unverzichtbaren Anwendungsbereiche (aus dem Staatshaushalt, von den Gaskunden etc.), eine pragmatische und sehr schnelle Anpassung der Zertifizierungskriterien sowie eine aufgeklärte Koexistenz-Strategie für die verschiedenen Wasserstoff-Farben entscheidend.
Oder China erlangt auch noch bei den Wasserstofftechnologien die absolute Marktdominanz.
Die Bundesregierung steht an einer Wegscheide

Jorgo Chatzimarkakis ist CEO des europäischen Wasserstoffverbandes Hydrogen Europe und ehemaliger FDP-Politiker. Er sagt: Das neue Wasserstoffbeschleunigungsgesetz ist ein Startsignal – aber kein Selbstläufer.
Noch hat die Bundesregierung den Hochlauf der Wasserstoff-Infrastruktur nicht versäumt – aber sie steht jetzt an der Wegscheide. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ist nun mal kein Sprint, sondern ein Generationenprojekt. Doch wer hier führen will, muss zuerst liefern.
Das Kernnetz ist beschlossen – ein Meilenstein. Jetzt braucht es die nächste Stufe: Produktion und Verbrauch müssen synchronisiert werden. Drei Stahlriesen – Salzgitter, Thyssenkrupp, Saarstahl – stehen bereit. Sie wissen, was sie wann brauchen.
Das ist kein Experiment, sondern Industriepolitik mit Kompass. Leitmärkte in Europa entstehen, mit Übergängen von Gas zu grünem Wasserstoff. Erste Abschnitte des Netzes sind in Arbeit. Die nordischen Länder und die Benelux-Staaten werden zu strategischen Partnern.
Daraus wächst nicht nur klimaneutraler Stahl, sondern auch Infrastruktur für grüne Rechenzentren. Das neue Wasserstoffbeschleunigungsgesetz ist ein Startsignal – aber kein Selbstläufer. Deutschland hat die Chance, zum Herzstück der europäischen Wasserstoff-Ära zu werden. Jetzt zählt jeder Monat!