Aufregung und Empörung waren groß, als Lilly Blaudszun, bekannt als junge SPD-Influencerin aus Mecklenburg-Vorpommern, am vorigen Samstag ihr Nein zur schwarz-roten Koalition auf X verkündete. Der Screenshot mit dem Kreuz vor dem Nein wurde wahrgenommen und über 200 Mal kommentiert.
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch endete das SPD-Mitgliedervotum, genau am Dienstag um 23.59 Uhr. Am Mittwoch soll das Ergebnis der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden.
Die SPD-Spitze rechnet mit einer Zustimmung. Doch was passiert im gegenteiligen Fall? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was geschieht, wenn die Mehrheit der SPD-Mitglieder gegen den Koalitionsvertrag aus CDU, CSU und SPD gestimmt haben sollte?
Völlig offen. Am Mittwochmorgen will die SPD die digitale Wahlurne öffnen lassen, dann das Ergebnis bekannt geben. „Bei einem mehrheitlichen Nein tritt der gesamte Parteivorstand zurück und der Juso-Chef wird Vorsitzender“, sagt ein führender Sozialdemokrat scherzhaft.
Ein Mitgliederentscheid entfaltet keine rechtliche Bindungswirkung.
Stefan Ulrich Pieper, Staatsrechtler
Er fügt aber mit Ernst in der Stimme hinzu, in größerer Runde habe die SPD-Spitze kein solches Worst-Case-Szenario durchgespielt.
Die Dynamik im Falle eines Neins lässt sich in der Tat kaum vorhersagen. „Lars Klingbeil muss dann zurücktreten“, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter. Und hofft auf das Gegenteil.
Woher nimmt die SPD-Spitze ihren Optimismus?
In der SPD gab es bereits zwei Mitgliedervoten über die Bildung einer großen Koalition. 2018 stimmten 66 Prozent der SPD-Mitglieder dafür; 2013 votierten gar 76 Prozent mit Ja.
Die Mitglieder seien pragmatischer und etwas konservativer als die Funktionäre, heißt es in der SPD. Sie wüssten um ihre Verantwortung.
Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Klingbeil können mit diversen Erfolgen im Koalitionsvertrag argumentieren, dem Sondervermögen und sieben Ministerposten für die SPD.
Die Resonanz der Mitglieder sei gut, heißt es bei der „Direktkommunikation“ des Willy-Brandt-Hauses.
Wann will die SPD ihre Minister benennen?
Nach einem Ja der SPD zum Koalitionsvertrag dürfte jeden Tag der Druck auf Klingbeil wachsen, die Namen der Minister zu veröffentlichen.
Er selbst will das erst am 5. Mai tun, also am Tag bevor der Kanzler gewählt und die Minister vereidigt werden sollen. Dieser Plan lasse sich nicht halten, sagen selbst Klingbeil wohlgesonnene Genossen.
Es brodelt massiv in der Partei.
SPD-Bundestagsabgeordneter
Der Druck, innerhalb der SPD Klarheit zu schaffen, ist groß, weil auch weitere Personalfragen dringend geklärt werden müssen, die sich von den Kabinettsposten ableiten lassen: Wer führt künftig die Fraktion? Wer führt die Partei? Wer wird Fraktionsvize, Parlamentarische Geschäftsführerin? Wer wird Spitzenkandidat bei der NRW-Landtagswahl 2027?
Was wird aus SPD-Co-Chefin Saskia Esken?
Offen. Esken vermittelt bisher intern den Eindruck, in der ersten Reihe weitermachen zu wollen.

© Moritz Frankenberg/dpa
Ob sie beim SPD-Parteitag Ende Juni abermals als SPD-Chefin kandidieren, lieber Ministerin werden oder ganz auf Spitzenämter verzichten will – darüber wird bei den Sozialdemokraten nur gemutmaßt. Niemand weiß es offenbar.
Auch vor der Führung der baden-württembergischen SPD, ihrem Landesverband, hielt sich Esken bedeckt. Der dortige Generalsekretär Sascha Binder hatte Esken vorige Woche öffentlich die Eignung für ein Ministeramt abgesprochen.
„Es brodelt massiv in der Partei“, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter. Sollte Esken SPD-Chefin bleiben oder Ministerin werden, so drohe angesichts ihrer geringen Popularität, eine „Implosion“.
Kann Merz ohne Plazet der SPD zum Koalitionsvertrag Kanzler werden?
Ja. Die Wahl des Kanzlers, angesetzt für den 6. Mai, ist geheim. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier könnte Merz theoretisch auch ohne das Ja der SPD zum Koalitionsvertrag – und damit zur Koalition – als Kanzler vorschlagen.
Im ersten und zweiten Wahlgang ist eine absolute Mehrheit der Abgeordneten, also 316 der 630, nötig. Im dritten Wahlgang ist diese „Kanzlermehrheit“ nicht mehr nötig. Es reicht eine einfache Mehrheit.
Kann die SPD regieren, obwohl die Mitglieder es nicht wollen?
Rechtlich ja, politisch eher nicht. „Bindend“ sei das Mitgliedervotum, sagt die SPD. Doch die Abgeordneten sind frei, nicht an Weisungen gebunden.
„Ein Mitgliederentscheid entfaltet keine rechtliche Bindungswirkung“, schreibt der Staatsrechtler Stefan Ulrich Pieper in einem Aufsatz „Zur Rolle des Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung“.
Theoretisch könnte die SPD also Merz zum Kanzler wählen und eine von ihm geführte Minderheitsregierung tolerieren. Politisch betrachtet wäre das heikel und dürfte mittelfristig zu Neuwahlen führen.