Im Testspiel gegen Europa-League-Sieger Tottenham Hotspur zirkelt Lennart Karl einen Ball von der Sechzehnerkante ins lange Eck. Der Youngster des FC Bayern wird dabei von seinem Kollegen aus der U19, David Daiber, assistiert. So weit, so schön. Und überhaupt: In der Saisonvorbereitung der Münchner kommen die Spieler aus der eigenen Jugend regelmäßig zum Zug. Doch während der Saison sieht das dann oft ganz anders aus.
Karl hat inzwischen einen Vertrag bis 2028 bei den Bayern unterschrieben, der im Februar zu seinem 18. Geburtstag in einen Profivertrag umgewandelt wird. Er galt in seiner Zeit auf dem Bayern-Campus als herausragendes Talent. So wurden vor ihm schon genug andere betitelt. Die meisten von ihnen schafften nie den Sprung in die erste Mannschaft oder sich dort zu etablieren.
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Stattdessen geben die Münchner auf dem Transfermarkt zuletzt keine wirklich glückliche Figur mehr ab und kassieren regelmäßig Absagen vermeintlicher Wunschspieler. Dabei wird gerade auf den Offensivpositionen nur selten auf Talente aus der eigenen Abteilung gesetzt, sondern beim VfB Stuttgart um Nick Woltemade gebuhlt und Luis Díaz für rund 70 Millionen Euro verpflichtet. Aber wie gut oder vor allem wie schlecht ist die Jugendarbeit des FC Bayern München wirklich?
Karl-Heinz Rummenigge, ehemals Vorstandsvorsitzender und mittlerweile Mitglied des Aufsichtsrates der FC Bayern München AG hat eine klare Vorstellung, wie die Nachwuchsförderung auszusehen hat: „Der FC Bayern muss in der Lage sein, in der Zukunft mehr Spieler wie Pavlović oder Stanišić herauszubringen. Idealerweise bringen wir jedes Jahr einen Spieler raus, der es in die erste Mannschaft schafft“, sagte er im Interview mit der Welt am Sonntag.
Der FC Bayern fährt seit einigen Jahren eine eher uneffektive Transferstrategie. Die verhältnismäßig häufigen Trainerwechsel führen dazu, dass Spieler wie João Palhinha von Thomas Tuchel bestellt werden – für dessen Nachfolger Vincent Kompany aber nur teure Ersatzspieler sind. Warum greift man dann nicht einfach auf den Nachwuchs zurück?
Tops und Flops aus der Akademie
Der Spagat zwischen Titelansprüchen und Spielerförderung ist gerade bei den Bayern nicht einfach. Hin und wieder gelingt es, junge Talente zu befördern. Jamal Musiala, der fairerweise den Großteil der Jugend beim FC Chelsea verbracht hat, ist heute das Herzstück der Mannschaft. Ebenso sind Josip Stanišić und Aleksandar Pavlović, wenn Letzterer nicht verletzt ist, wichtige Bestandteile des Kaders.
Diese drei sind in den letzten Jahren aber eher der Ausnahmefall. Beispiele? Malik Tillmann wechselte nach nur vier Einsätzen in der A-Mannschaft und einer Leihe bei den Glasgow Rangers zu PSV Eindhoven und im Sommer für eine Ablöse von rund 35 Millionen Euro dann zu Bayer Leverkusen. Frans Krätzig stand einst hoch im Kurs und kann dieselbe Anzahl an Spielen für die Bayern wie Tillmann vorweisen. Er wechselte nach mehreren Leihen in diesem Jahr zu RB Salzburg. Hinter Paul Wanners Namen steht nach zwei Leihen ebenfalls ein großes Fragezeichen.
Die Liste der im eigenen Klub gescheiterten Talente lässt sich mit Namen wie Sinan Kurt, Joshua Zirkzee oder Gianluca Gaudino lange weiterführen. Die Quintessenz ist klar: Die Bayern setzen zu selten auf die eigene Jugend.
In Sachen Gehälter unserer Spieler haben wir – das muss man selbstkritisch sagen – etwas großzügig gearbeitet
Karl-Heinz Rummenigge, Mitglied des Aufsichtsrates der FC Bayern München AG
Das spiegelt sich dann in der Gehaltsstruktur wider. Die prangert auch Rummenigge an: „In Sachen Gehälter unserer Spieler haben wir – das muss man selbstkritisch sagen – etwas großzügig gearbeitet.“ Dem könne man mit einem Kader entgegenwirken, der mehr Jugendspieler enthalte.
Diese müssen dann aber auch mehr Spielzeit erhalten, sonst sucht sich der Spieler Alternativen – siehe Mathys Tel. Wenn es nach Rummenigge ginge, sollte man sich an die Zeit unter Louis van Gaal erinnern. Der Holländer, zwischen 2009 und 2011 Bayern-Trainer, habe der Klubführung zu möglichen Transfers oft gesagt: „Brauchen Sie nicht kaufen! Haben wir im eigenen Klub.“
Auch Hansi Flick macht beim FC Barcelona immer öfter aus der Not eine Tugend. Barca kämpft mit finanziellen Problemen und Flick hat deswegen den Kader mit jungen Spielern aus den eigenen Reihen gestärkt.
Von den Zeiten van Gaals oder Flicks Mut, jungen Spielern Vertrauen zu schenken, sind die Bayern aktuell ein gutes Stück entfernt. Und dass Lennart Karl am Samstag in der Startaufstellung des Supercups gegen den VfB Stuttgart steht (20.30 Uhr/Sat.1 und Sky), ist unwahrscheinlich. Da wird Trainer Kompany dann wohl eher wieder auf Erfahrung setzen.