Die Lage im Nachbarland hat den Bundeskanzler schon den ganzen Tag umgetrieben. Am Vormittag fragte Friedrich Merz in den Gremiensitzungen seiner CDU danach, wie die möglichen Auswirkungen der französischen Regierungskrise eingeschätzt werden. Am Nachmittag auf der Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt wurde klar, wie maximal ungelegen ihm das alles kommt.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages — abends direkt in Ihr E-Mail-Postfach.
Eigentlich lief es doch gerade sehr gut im bilateralen Verhältnis, weshalb Merz dort nicht über das sich abzeichnende Misstrauensvotum gegen den Pariser Premier Francois Bayrou redete, sondern über die Beschlüsse zur Wirtschafts- und Verteidigungspolitik beim deutsch-französischen Ministerrat Ende August in Toulon: „Ich bin stolz, dass diese Herzkammer Europas wieder kraftvoll schlägt.“
Nun hat der seit 2017 amtierende Staatschef Emmanuel Macron in Gestalt von Francois Bayrou seinen nunmehr sechsten Regierungschef verloren. Und weil er wegen der knappen Mehrheiten Schwierigkeiten haben könnte, schnell einen neuen zu installieren, muss man sich auch in Berlin auf eine neue Lage einstellen.
Geschwächter, aber nicht ganz handlungsunfähig
Ganz überraschend kommt diese freilich nicht. Erstens war der Termin für die Vertrauensfrage schon länger angekündigt, zweitens war bekannt, wie unbeliebt die von Bayrou geplanten Sparmaßnahmen sind. Und drittens ist man in deutschen Regierungskreisen schon länger der Meinung, dass es ein „Fehler“ Macrons war, im vergangenen Sommer vorgezogene Parlamentswahlen auszurufen, deren Ergebnis die Regierungsarbeit erschwerte.
„Spätestens seit der vorgezogenen Parlamentswahl steht die politische Stabilität in Frankreich infrage, nach heute in neuer Dimension“, sagt Andreas Jung, einer von Merz’ Vizes an der CDU-Spitze und zugleich Co-Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentsversammlung, dem Tagesspiegel nach dem Votum in Paris: „Dank der starken Kompetenzen im französischen Präsidialsystem bleibt Macron trotzdem in vielen Fragen handlungsfähig.“
Macron bleibt unser erster Ansprechpartner und wird auch sicher für eine proeuropäische Ausrichtung der nächsten Regierung sorgen.
Andreas Jung (CDU), Co-Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentsversammlung
Das ist die Linie, die auch in der Bundesregierung zu hören ist. Sie setzt ganz auf den noch bis 2027 gewählten Staatschef, der durch die Ereignisse innenpolitisch zwar geschwächt ist, aber laut Verfassung in vielen Politikbereichen weiter das Sagen hat – in der Außenpolitik ohnehin, in der es etwa um abgestimmte Positionen zur Ukraine geht. „Macron bleibt unser erster Ansprechpartner und wird auch sicher für eine proeuropäische Ausrichtung der nächsten Regierung sorgen“, glaubt Jung. Die gegenteilige Sorge leitet sich daraus ab, dass etwa die Sozialisten große Zugeständnisse für die Wahl eines neuen Premiers verlangen könnten.
Auf Kontinuität in der Krise setzt auch die SPD-Außenpolitikerin Siemtje Möller. „Die deutsch-französische Partnerschaft ist das Fundament Europas“, sagt die stellvertretende Fraktionschefin: „An dieser engen Zusammenarbeit wird sich nichts ändern – wir setzen weiter auf enge Absprachen in allen zentralen Fragen.“ Aber natürlich muss auch sie hoffen, dass die politische Mitte in Frankreich „sich zusammenrauft, um schnell wieder handlungsfähig zu werden“.
Aus deutscher beziehungsweise europäischer Perspektive ist dabei vor allem von Belang, ob sich die französische Haushaltspolitik den Maastricht-Kriterien zumindest wieder annähert. Aktuell liegt die Gesamtverschuldung mit 112 Prozent der Wirtschaftsleistung fast doppelt so hoch wie erlaubt, die Neuverschuldung wiederum betrug 2024 mit 6,2 Prozent tatsächlich das Zweifache des Zulässigen.
„Die größten Sorgen muss uns der französische Haushalt machen“, sagt deshalb auch CDU-Vize Jung: „Je länger die Phase politischer Unsicherheit und unzureichender Sparbeschlüsse anhält, desto mehr Fragen werden an den Finanzmärkten auftauchen.“ Bayrou hatte versprochen, das Defizit in diesem Jahr auf 5,4 und in Jahresschritten bis 2029 auf 2,8 Prozent zu senken. Längst ist von einer möglichen neuen Eurokrise die Rede.
Kaum Sorge um bilaterale Projekte
Klar ist, dass die Frage der öffentlichen Kreditwürdigkeit wieder zum Thema in der Eurozone und auch in Deutschland werden könnte, wo bekanntlich eine weitreichende Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und Infrastrukturinvestitionen ins Grundgesetz geschrieben wurde. FDP-Chef Christian Dürr schreibt schon direkt nach Bayrous Niederlage in den sozialen Medien: „Die Krise in Frankreich zeigt: Schulden sind auf Dauer keine Lösung.“
Die Befürchtungen, die in Berlin nun die Runde machen, sind tatsächlich eher übergeordneter Natur und betreffen weniger die jüngsten Beschlüsse des deutsch-französischen Ministerrats. „Es ist nicht zu befürchten, dass alle Vereinbarungen von Toulon Makulatur wären“, sagt Andreas Jung mit Blick auf das, was dort verabredet wurde: „Viele gemeinsame Projekte wie die Wasserstoff-Pipeline oder in der Raumfahrt betreffen nur exekutives Handeln und brauchen keine neuen legislativen Beschlüsse in der Nationalversammlung.“
Das gilt nur bedingt für die teure Rüstungszusammenarbeit, die sich gerade bei den europäischen Zukunftsprojekten schon länger als schwierig erweist. Hier haben sich Merz und Macron sowie ihre Verteidigungsminister Boris Pistorius und Sébastien Lecornu in die Hand versprochen, im Herbst Entscheidungen zu treffen. Diese könnten wohl am ehesten unter der neuen Entwicklung leiden.
Es wird aber auch in diesem Herbst nicht an schönen deutsch-französischen Gesten fehlen. Am 3. Oktober wird Emmanuel Macron zum 35. Tag der Deutschen Einheit im Saarland sprechen.