SPD und Gewerkschaften haben den Vorstoß von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, die telefonische Krankschreibung möglicherweise abzuschaffen, scharf zurückgewiesen.
„Eine Abschaffung wäre ein Rückschritt und Ausdruck einer Misstrauenskultur“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Christos Pantazis, dem Tagesspiegel. Die telefonische Krankschreibung entlaste Arztpraxen, sei unkompliziert in der Handhabung und biete Patientinnen und Patienten Vorteile. „Wir sollten das Gesundheitssystem von unnötiger Bürokratie befreien, statt neue Hürden aufzubauen.“
„Er hat keine Ahnung von der Lebensrealität arbeitender Menschen“
DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel ging Linnemann persönlich an. „Das ist eine völlig haltlose Unterstellung ohne jede Grundlage und zeigt, dass der CDU-Generalsekretär keine Ahnung von der Lebensrealität arbeitender Menschen hat.“

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Carsten Linnemann hatte sich am Rande einer Klausurtagung der CDU Rheinland-Pfalz am Mittwoch angesichts der steigenden Lohnnebenkosten für Reformen bei den Sozialversicherungen ausgesprochen. „Wir werden auch darüber reden, ob die telefonische Krankschreibung so sinnvoll ist oder ob man nicht sagt, wenn man krank ist, muss man zum Arzt gehen“, sagte der CDU-Politiker in Mainz auf eine Tagesspiegel-Frage. Damit würde sich die nun dafür eingesetzte Reformkommission beschäftigen.
Die ehemalige Grünen-Landtagsabgeordnete Piel wirft Linnemann vor, sich mit seinem Vorstoß an die Seite prominenter Arbeitgeberfunktionäre zu begeben und alle Beschäftigten unter Generalverdacht zu stellen.
Statt böswilliger Unterstellungen brauchen Beschäftigte Arbeitgeber, die ihre Verantwortung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz ernst nehmen.
Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied
„Die telefonische Krankschreibung hat sich bewährt“, sagt Piel. Sie erleichtere die Gesundheitsversorgung, reduziere Stress und schütze vor Ansteckung in vollen Wartezimmern.
„Das viel größere Problem ist doch, dass bei steigenden Arbeitsbelastungen immer mehr Beschäftigte häufig krank zur Arbeit gehen und damit sich und andere gefährden“, sagt die Gewerkschafterin Piel und nimmt stattdessen Firmen in die Verantwortung. „Statt böswilliger Unterstellungen brauchen Beschäftigte Arbeitgeber, die ihre Verantwortung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz ernst nehmen.“
Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände für Abschaffung
Auch der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände Steffen Kampeter hatte sich wegen der hohen Krankheitsstände wiederholt für eine Abschaffung ausgesprochen. „Nach der Einführung der coronabedingten telefonischen Krankschreibung sind diese nicht wieder zurückgegangen“, sagte der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete kürzlich dem ZDF: „Das liegt unter anderem an der telefonischen Krankschreibung.“
Verschiedenen Umfragen zufolge hat sich rund ein Drittel der Beschäftigten schon einmal per Telefon krankgemeldet. Sie kann in der Regel für maximal fünf Kalendertage erfolgen und nur nach einem persönlichen Praxisbesuch verlängert werden.
Für einen systematischen Missbrauch gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Große Krankenkassen wie AOK oder DAK sehen den Rekordkrankenstand vor allem durch die Einführung des elektronischen Meldeverfahrens, Corona-Infektionen, verstärkte Erkältungswellen und mehr psychischen Erkrankungen begründet. Ärzteverbände und Wissenschaftler unterstützen diese Sichtweise.
Lesermeinungen zum Artikel
„Dass es in jeder Belegschaft einzelne gibt, die das System ausnutzen, ist unbestritten – genauso wie es in jeder Partei schwarze Schafe gibt. Aber aus Einzelfällen eine ganze Arbeitnehmerschaft unter Generalverdacht zu stellen, ist schlicht populistisch und respektlos. Die allermeisten Beschäftigten schleppen sich sogar krank ins Büro, weil sie niemandem zur Last fallen wollen oder Druck von oben spüren. Wer das ignoriert, hat nicht nur ‚keine Ahnung von der Lebensrealität arbeitender Menschen‘, sondern betreibt Stimmungsmache auf dem Rücken derjenigen, die den Laden tagtäglich am Laufen halten.“ Diskutieren Sie über folgenden Link mit Community-User Konner_FFM