Als hätte die Sonne das Motiv mit der Zeit ausgeblichen und dazu die Katze im Haus ihre Krallen an der Leinwand ausprobiert. Die Bilder von Sibylle Springer wirken versehrt: wie eine Erinnerung aus verschwommener Ferne, die bloß noch zarte Nachbilder generiert.
Dabei sind die Themen der in Bremen und Berlin lebenden Künstlerin oft dem lauten, bunten Pop entlehnt. In ihrer großen Soloschau mit über hundert Werken, die aktuell in der Kunsthalle Bremen zu sehen ist, hängen Porträts etwa von Madonna oder Britney Spears – von Künstlerinnen also, die sich nicht an Normen halten und dafür immer wieder Shitstorms ernten.
Zerrbilder der Medien
Beide werden medial geschlachtet, ihre Persönlichkeiten sind reine Zerrbilder. Sibylle Springer, Jahrgang 1975, mischt sich ein in diesen Streit um die Deutungshoheit und schildert ihre individuelle Sicht auf den Fakt, dass Frauen letztlich marginalisiert werden, wenn sie aus den ihnen zugewiesenen Rollen fallen. Springers Porträts der beiden Sängerinnen scheinen aus einer anderen Zeit zu kommen, die Farben sind zart und leicht verwaschen. Das ermöglicht Distanz und lässt einen die Gesichter im Idealfall noch einmal ganz unbefangen betrachten.
Springers künstlerische Strategien zeigt parallel auch eine zweite Ausstellung in der Berliner Hoto Galerie auf. „Taken from afar“, so der Titel, präsentiert andere Werke, kreist aber um dieselben Themen. Bei Hoto geht es um Malerinnen wie Rachel Ruysch, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts tätig war, sich etablierte und dann vergessen wurde. 2024, fast vierhundert Jahre nach ihrem Tod, wurde der auf Blumenstillleben spezialisierten Malerin in München die erste umfassende Werkschau gewidmet.
Kaputte Leinwände
Sibylle Springer vertieft sich in die barocken Arrangements aus üppigen Blüten und fragilen Insekten. Ihre eigenen Bilder in Formaten bis zu 180 Zentimetern Höhe beschränken sich allerdings auf Details: hier ein Käfer, dort ein Blatt oder eine Blüte. Wer genau hinschaut, sieht die winzigen Löcher auf den unbehandelten Partien der Leinwand. Die Künstlerin zupft Teile des Garns heraus, sodass unregelmäßige und dennoch zarte Durchbruchmuster entstehen.
Der Effekt ist verblüffend: Die Stillleben wirken ebenso gegenwärtig wie von der Zeit verschlissen. Ähnlich wie die gemalten Insekten erinnern der provozierte Zerfall der Leinwand und die Leerstellen im Gemälde an das Schicksal von Ruysch, deren Arbeit aus dem Blick geriet. Ein Schicksal, das sie mit zahllosen Künstlerinnen vergangener Epochen teilt.
Sibylle Springer, die an der Bremer Akademie unter anderem bei Katharina Grosse studiert hat, macht ihre Vorgängerinnen wieder sichtbar. Meistens subtil, in ihrem Werk tauchen Disteln als feministisch aufgeladenes Symbol auf, wie es die malenden Dietz-Schwestern ebenfalls im 18. Jahrhundert nutzten. Oder mithilfe von Fäden und Stoffen, die ebenfalls mit (weiblichen) handwerklichen Tätigkeiten konnotiert sind. In der Galerie Hoto, die Schauspieler Leopold Hornung 2022 gegründet hat, wächst aus Wolle, Plastik, Seide und Kupfer ein monumentaler Falter, der aus einem von Ruyschs Bildern gekrochen sein könnte. Schön und – trotz seiner Größe – verletzlich prangt er an der weißen Wand.
Mit ihm schließt Springer an jenes malerische Erbe an, das sie zurück im kollektiven Gedächtnis verankert wissen will. Gleichzeit ist der „Harlekinbär“ (2025) eine autonome, von der Künstlerin gefertigte Assemblage, wie sie nur in der Gegenwart entstehen kann: So fragmentiert und abstrakt hätte eine Künstlerin des Barock ihn niemals dargestellt. Sibylle Springer spannt diesen Bogen ebenso sensibel wie überzeugend.