Haben Sie sich beim Anschauen eines Films schon mal vor einer menschlichen Puppe oder einem humanoiden Roboter gegruselt? Falls ja, dann sind Sie damit nicht allein. Ganz im Gegenteil: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben für dieses häufige Phänomen sogar einen Namen entwickelt. Sie nennen es den „Uncanny Valley Effekt“.
Er besagt, einfach ausgedrückt, dass künstliche Objekte wie Roboter, Computerfiguren oder andere Animationen, die nahezu menschlich aussehen, aber nicht perfekt sind – zum Beispiel, weil die Körperhaltung nicht natürlich ist oder die Gesichtszüge leicht verändert sind –, bei Menschen Ablehnung oder sogar Angst hervorrufen können. Warum? Das war bislang nicht klar.
Das zeigt, dass die menschliche Wahrnehmung abweichende äußere Merkmale auch bei virtuellen Abbildern als potenzielle Bedrohung für die Gesundheit ansieht.
Esther Diekhof, Humanbiologin
In einer neuen Studie, deren Ergebnisse kürzlich in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ erschienen, haben Wissenschaftler der Universität Hamburg um die Humanbiologin Esther Diekhof und den Informatiker Frank Steinicke nun eine mögliche Erklärung gefunden. Das menschliche Immunsystem könnte für den Effekt eine entscheidende Rolle spielen.
Testpersonen reagieren auf das äußere Erscheinungsbild
Die Vermutung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Beginn ihrer Studie: Das Gehirn könnte die abweichenden Merkmale der virtuellen Charaktere als Symptome einer Erkrankung deuten und aus Angst vor einer Ansteckung Ablehnung signalisieren.
Um ihre Hypothese zu prüfen, konfrontierten die Wissenschaftler insgesamt 66 Testpersonen in einer virtuellen Umgebung mit menschlich aussehenden Animationen, deren äußerliches Erscheinungsbild teilweise leicht abgewandelt wurde, insbesondere im Mund- und Augenbereich.
Im Anschluss maßen sie im Speichel der Testpersonen die Konzentration des sekretorischen Immunglobulins A (slgA). Der Antikörper gilt als Indikator dafür, wie aktiv das Immunsystem einer Person ist.

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Und tatsächlich: Wiesen die Animationen ein abweichendes, möglicherweise unheimliches Aussehen auf, reagierte das Immunsystem der Testpersonen darauf mit einer erhöhten slgA-Ausschüttung.
Sahen die Testpersonen dagegen optimierte Animationen, die deutlich menschlicher wirkten, oder einfache Cartoonfiguren, war im Speichel keine Steigerung der Immunantwort nachweisbar.
Das Gehirn schaltet ganz automatisch
„Das zeigt, dass die menschliche Wahrnehmung abweichende äußere Merkmale auch bei virtuellen Abbildern anscheinend als potenzielle Bedrohung für die Gesundheit ansieht und unterstützt somit die sogenannte ‚Pathogen-Vermeidungs-Hypothese‘ als mögliche Erklärung des ‚Uncanny Valley Effekts‘“, so Esther Diekhof, Leiterin der Arbeitsgruppe Neuroendokrinologie am Fachbereich Biologie der Universität Hamburg in einer Pressemitteilung ihrer Universität.
All das läuft offenbar nicht bewusst ab. Auch das zeigt die Hamburger Studie. In Fragebögen, in denen die Testpersonen das Aussehen der virtuellen Kontakte und ihre eigenen Empfindungen dazu reflektieren sollten, ließen sich jedenfalls keine auffälligen Unterschiede zwischen realistischen und abgewandelten Animationen feststellen.
Für Diekhof ist deshalb klar, dass eine unbewusste Reaktion dahinter steht. Sie sagt: „Das Gehirn leitet aus den optischen Informationen relativ automatisch eine potenzielle Gefahr ab und aktiviert vorsorglich das Immunsystem.“
Die Hamburger Studie ist übrigens nicht die erste, die sich mit den Effekten von Virtual Reality auf das Immunsystem beschäftigt. Vorangegangene Untersuchungen zeigten bereits, dass virtuelle Personen, die in den Augen von Probanden krank erscheinen – weil sie zum Beispiel niesen oder einen sichtbaren Hautausschlag haben –, das Immunsystem in Gang setzen. Wissenschaftler forschen deshalb bereits zu Methoden, um sich diesen Mechanismus auch für die Prävention und Therapie von Krankheiten zunutze zu machen.