Neue Museen brauchen, das ist die Überzeugung der Werber und vieler Museumsleute, einen „Marker“: ein dramatisches Ausrufezeichen, um das Publikum zu locken. Inhalt alleine reiche nicht, selbst wenn er so sensationell ist wie beim neuen Fenix Museum für Kunst und Migration in Rotterdam.
Also erstieg auch die niederländische Königsgemahlin bei der Eröffnung die 336 Stufen des „Tornado“, jener im Zentrum des Baus aufsteigenden, edelstahlblitzenden Treppendoppelhelix mit vielen Ausgängen.
Sie wurde nach den Plänen des chinesischen Architekten Ma Yansong von MAD Architects in den Rest der einstmals längsten Lagerhalle Europas eingefügt und führt zu einem Pavillon mit Pilzdach. Seine Mittelsäule spiegelt lustig die Herumstehenden und die grandios seit etwa zwanzig Jahren gebaute Hochhaus-Skyline von Rotterdam.
Erst hatten die Deutschen bei ihrem Luftangriff auf Rotterdam 1940 Teile des 1929 nach Plänen von Cornelis van Coor für die Hamburg-Amerika-Linie errichteten Hallenbaus zerstört, später brannte ein Teil ab.
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Lange sollte auch der Rest für weitere Hochhäuser an der Hafenkante weichen, bis er nun wie Phoenix aus der Asche entstieg – daher der Name des Museums. Das Gebäude gehört damit zum umfangreichen Bau-Erbe der einstigen Holland-Amerika-Lijn.
Hallen voller Geschichte und Geschichten
Als eine der größten Reedereien der Welt seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert transportierte die Schifffahrtslinie Millionen von Menschen vor allem zwischen den USA und Europa: Geschäftsleute, Touristen, aus dem Kaiserreich Russland fliehende Juden, Ukrainer, Belarussen, Kaukasier, Landflüchtige aus Deutschland, Österreich, Südosteuropa.
Nach 1945 kamen die Flüchtlinge aus den deutschen Konzentrationslagern zusammen mit den Deutschsprachigen, die aus Mittel- und Osteuropa geflohen waren und auch dem Elend Europas entkommen wollten. Seit 1948 erhofften hier aus der einstigen niederländischen Kolonie Indonesien fliehende Molukker und Javaner Sicherheit und Freiheit, seit den 1950ern Menschen aus Marokko und der Türkei. Die Hallen stecken voller Geschichte und Geschichten.
Aber das Fenix ist kein Geschichts-, sondern ein brillant inszeniertes Kunstmuseum. Einige Dokumentationsstücke – etwa ein bemalter Abschnitt der Berliner Mauer oder ein 1923 in Lettland für Geflüchtete ausgestellter Nansen-Pass – befinden sich Kunstwerken wie dem „Flüchtlings-Diptychon“ des Südafrikaners William Kentridge oder dem fürchterlichen „Thron der Erkenntnis“ aus Kalaschnikows, Pistolen und Munition des Angolaners Goncalo Mabunda gegenüber.
Von Thania Petersen hängt ein Wandteppich mit den Erzählungen von Familien, die durch Niederländer aus Indonesien nach Südafrika verschleppt wurden.
Während frühere Wander-Generationen davon ausgehen mussten, ihre Familien und Freunde nie wiedersehen zu können, sind sie nun, wie der kabelgewundene Baum von Emy Jungerman aus Surinam zeigt, immer neu verbunden.
Was das Leiden kaum ändert: Ob die belgischen Bauern, deren Flucht vor dem deutschen Terror 1914 in die Niederlande Leo Gestel zeichnete, die Angst in den von Israel bombardierten Lagern von Gaza oder die von Alejandro Cartagena von oben fotografierten, auf Autolagerflächen Eingepferchten, die aus Mexiko in die USA wollen – sie alle verbindet die Hoffnung, dass es nur besser werden kann.
Wer die vom Schweizer Marwan Bassiouni fotografierten „Neuen Niederländischen Blicke“ mit Aussichten aus Moschee-Fenstern betrachtet, zieht dennoch den Schluss: Migration ist trotz all des Leidens viel öfter eine Erfolgsgeschichte, als Rechte und Konservative weis machen wollen.

© Nikolaus Bernau
Ein Manko allerdings gibt es: Das Fenix ist viel zu hell. Viele Werke wie Rembrandts zarte Radierung „Die Heilige Familie auf der Flucht“ sind aus Papier, andere aus Textilien, auch Holbeins Porträt von Erasmus von Rotterdam oder die aus Zeitungspapier geklebte Raum-Installation von Daria Kzhai zum Krieg Russlands gegen die Ukraine dürften schnell leiden.
Es würde helfen, wie in amerikanischen oder britischen Museen schon lange üblich, wenigstens Jalousien an Deckenlichtern und Fenstern anzubringen, die einfach als Lichtschutz heruntergezogen werden, nachdem die letzten Besucher das Haus verlassen haben.
Manche Kontraste wie zwischen dem Flucht-Boot vor der italienischen Insel Lampedusa und dem Blick auf die strahlenden Hochhäuser Rotterdams sind kaum erträglich. Selbstkritik muss man suchen, die Niederlande und ihre Geschichte der Migration fehlt fast völlig.
Also auch jeder Hinweis auf jenes Lager Westerbork, das die niederländische Regierung 1938 einrichtete, um Flüchtlinge aus Deutschland, vor allem Juden, zu kasernieren und schnell abschieben zu können. Seit 1940 nutzten es die deutschen Besatzer, um mit niederländischer Amtshilfe die jüdische Bevölkerung nach Auschwitz zu deportieren. Das Museum sei der Kunst über die Migration gewidmet, ist die Antwort auf die Frage nach Westerbork.
Es gibt eine Versammlungshalle mit großer Küche und Info-Kiosk, weitere Ausstellungsteile mit berührenden Fotografien von Reisen, Flucht, Wiedersehen, dem Erkennen des Alleinseins. All das soll nun der „Tornado“ von Ma Yonsang zusammenbinden. Mehr als 4000 Quadratmeter unterschiedlich blank polierte Edelstahloberflächen, die ständig geputzt werden müssen, fügen sich zum angeblich ersten Museum Europas, das ein Chinese entwarf.
Tatsächlich gestaltete der Kollege Wang Shu im Berliner Humboldtforum schon 2019 einen riesigen Ausstellungssaal für die Kunst der chinesischen Kaiserhöfe. Egal: Beide Werke stehen für den Wiederaufstieg Chinas – und sind selbst Dokumente jener andauernden Migration, welche die Menschheit seit jeher prägt.