Wir könnten mit Bertolt Brecht fragen: Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über die Currywurst fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt? Aber halt.
Die Currywurst ist kein Verbrechen, sondern politisch, hochpolitisch, taucht an Stellen auf, wo wir sie nie erwartet hätten. Sie ist Grundnahrungsmittel am Straßenrand, ist der „Kraftriegel des Facharbeiters“ (Gerhard Schröder) und eine fortwährende Diskursgranate in Sachen Ost-West, weil es in der Frage „Mit oder ohne Darm?“ keine Versöhnung zu geben scheint.
Schon das Bekenntnis zur Wurst generell ist politisch. Markus Söder sah sich von Robert Habeck für sein „fetischhaftes Wurstgefresse“ abgekanzelt, weiß aber genau, dass eben dies im einfacher gestrickten Wähler zuverlässig das Signal „Der ist einer von uns!“ anknipst.
Nie würde sich der Bratwurstfranke Söder in seinem angestammten Biotop mit einer Currywurst erwischen lassen, löste aber eine beachtliche Tik-Tok-Welle aus, als er sie zusammen mit Friedrich Merz in Berlin verspeiste – Gesäßgeographie für Fortgeschrittene.
Hertha Heuwer ließ sich 1949 das Patent eintragen
Volkswagen produziert in Wolfsburg mehr Currywürste als Autos, aber der gesundheitspolitisch motivierte Versuch, in einigen Kantinen der Fabrik keine mehr anzubieten, scheiterte, vielleicht auch wegen Schröders Kraftriegel-Intervention. Die Wurst kehrte zurück, brach 2024 alle Umsatzrekorde und kann längst auch – Original Volkswagen – im Einzelhandel erworben werden, fertig für die Mikrowelle.
Merke: Mit seinem Leibgericht versteht der Deutsche keinen Spaß, da können Döner, Ramen & Co noch so erfolgreich sein. Möglicherweise gäbe es längst irgendeinen AfD-Ministerpräsidenten, hätten identitätspolitische rot-grüne Kreise ein Verbot der Currywurst ins Gespräch gebracht, vielleicht wegen der dem Gewürz inhärenten kulturellen Aneignung?
Da die politische Brisanz der Currywurst also nicht zu leugnen ist, gibt es permanenten Streit um die Urheberschaft. Berlin, natürlich, ist vornweg mit seinem Mythos der Hertha Heuwer, die sich 1949 das Patent eintragen ließ und alle Zweifler knackig beschied: „Ich habe das Patent – und damit basta. Wer etwas anderes behauptet, der hat einen Stich.“
Oberbürgermeister hat eine Erinnerungsplakette anschrauben lassen
Der Schriftsteller Uwe Timm erinnerte sich allerdings, eine ähnlich gewürzte Wurst schon 1947 in Hamburg gegessen zu haben. Nur machten die Hamburger kein so großes Gewese drum, weil sie an Labskaus, Pannfisch und Scholle Finkenwerder Art genug Autochthones zu kauen hatten.
Da ist aber noch das Ruhrgebiet. Herbert Grönemeyer hatte 1982 in seinem Lied über die Currywurst schon deutlich gemacht, dass da drüben eine eigene Kultur existiert: „Kommste vonne Schicht/wat gibt et nich’/als wie Currywurst.“ Nix Kantine! Im Morgengrauen vor dem Werkstor!
Das war der spezifische Bochumer Blickwinkel, aber nun taucht auch noch Duisburg in der Ketchup-Arena auf, und das mit Belegen: Die Autoren Gregor Lauenburger und Tim Koch sind sich sicher, dass ein gewisser Peter Hildebrand, auch bekannt als „Peter Pomm“, dort schon 1936 eine Wurst mit Tomatensoße und englischem Curry serviert hat – ab 1935 soll er das Gewürz von der Insel bezogen haben, Rechnungen liegen vor.
Und das ist nun auch wieder krass politisch. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) hat schon eine Erinnerungsplakette anschrauben lassen, und aus den Funden der beiden Autoren ergibt sich noch mehr: Das zunehmend beliebte Gericht blieb den Mitarbeitern des Erfinders vorbehalten, weil die Nazis sonst das „Gewürz des Feindes“ gewittert und die Wurst möglicherweise verboten hätten.
Wir sehen also: Die Currywurst, egal ob mit oder ohne Darm, mit Pommes oder ohne, birgt eine Art Abwehrzauber gegen Nazis. Und darauf müssten sich all die konkurrierenden Städte doch eigentlich verständigen können – Berlin vornweg. Nur: Bitte nicht aus der Mikrowelle!