Bundeskanzler Friedrich Merz fordert angesichts einer immer aggressiveren Politik Chinas und Russlands sowie eines sich wandelnden Verhältnisses zu den USA eine neue Sicherheitsarchitektur für Deutschland und Europa.
„Was wir liberale Weltordnung genannt haben, steht nun von vielen Seiten unter Druck, auch im Inneren des politischen Westens“, sagte der CDU-Vorsitzende bei der Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt, ohne die USA direkt zu nennen.
Ein neuer Systemkonflikt sei aufgebrochen, „zwischen liberalen Demokratien und einer Achse der Autokratien, die sich stützt und den offenen Systemwettbewerb zu unserer Demokratie geradezu sucht“.
Es entstünden neue revisionistische Allianzen, Krisen und Konflikte überlagerten sich, es sei der Krieg nach Europa zurückgekehrt, sagte der Kanzler und ergänzte: „Wir stehen damit vor sehr grundsätzlichen, geradezu vor historischen Aufgaben, eine neue Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die, wenn es gut geht, für mehrere Jahrzehnte tragfähig sein sollte.“
Merz lobt Außenminister Wadephul

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In seiner Rede lobte Merz ausdrücklich die Zusammenarbeit mit Außenminister Johann Wadephul (CDU). Die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt habe von Beginn an reibungslos funktioniert.
Wadephul habe demnach das Amt bei hohem Wellengang übernommen. „Du hast in kürzester Zeit unter Beweis gestellt, dass Du mit Deinem starken Kompass der Richtige bist, dieses Haus in diesen Zeiten zu führen“, sagte Merz an den Minister gewandt.
Nötig sei eine pragmatische Außen- und Sicherheitspolitik, die sich an den deutschen und europäischen Interessen orientiere, verlangte der Kanzler.
Merz spricht verändertes Verhältnis zu den USA und China an
„Die USA bewerten ihre Interessen neu, und das nicht erst seit einigen Tagen. Und so müssen auch wir in Europa unsere Interessen justieren, ohne falsche Nostalgie“, sagte Merz.

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Zwar blieben die USA wichtigste Partner, mit denen man die enge Abstimmung und Zusammenarbeit suche. „Aber es zeichnet sich ab, dass diese Partnerschaft weniger selbstverständlich sein wird.“ Wie das Verhältnis sei, hänge von der Stärke der Europäer ab.
Gegenüber China forderte Merz eine stärker auf Sicherheit bezogene Politik. Sicher werde man in Klimapolitik oder bei globalen Krisen zusammenarbeiten.
Wir können nicht mehr von Innenpolitik und Außenpolitik sprechen wie von zwei fein säuberlich getrennten Sphären.
Friedrich Merz, Bundeskanzler
„Aber wir erkennen gleichzeitig, die Systemrivalität nimmt zu“, betonte Merz. „Für unsere Sicherheit und für unsere Wettbewerbsfähigkeit muss es also eine Priorität sein, dass wir unsere Rohstoff- und Handelskettenrolle in der strategischen Souveränität diversifizieren.“ Nötig seien dafür auch mehr EU-Handelsabkommen mit anderen Partnern.
Merz weist Vorwurf des Außenpolitikfokus zurück
Zugleich wies Merz den Vorwurf zurück, er vernachlässige als „Außenkanzler“ mit seinen zahlreichen Auslandsreisen die Innenpolitik. „Wir können nicht mehr von Innenpolitik und Außenpolitik sprechen wie von zwei fein säuberlich getrennten Sphären“, sagte er.
Deshalb überrasche ihn der gelegentlich vernehmbare Vorwurf, er würde sich zu stark mit der Außenpolitik beschäftigen. Das Engagement der Bundesregierung im Äußeren diene dazu, Frieden, Freiheit und Wohlstand im Inneren zu bewahren.
Die Trennung der innenpolitischen von der außenpolitischen Welt biete eine trügerische Sicherheit, warnte der Kanzler. Sie suggeriere, dass man sich nicht kümmern müsse um die Kriege da draußen, die Aggressoren, die Regelbrecher.
„Sie bedient ein geradezu isolationistisches Bedürfnis“ – aber Deutschland sei keine Insel, auch wenn es von Freunden umgeben sei, sagte Merz.
Außen- und Sicherheitspolitik sei in Zeiten der „Friedensdividende“ lange ein Nebenpolitikfeld gewesen, jetzt gebe sie den Takt auch der deutschen Politik vor, sagte Merz. Innen-, Wirtschafts-, Handels- oder Verteidigungspolitik könnten nicht mehr ohne ihre außen- und sicherheitspolitische Dimension gedacht werden.
Dass ein Kanzler oder eine Kanzlerin eine Rede vor den mehr als 220 Botschafterinnen und Botschaftern hält, ist sehr selten. Zuletzt hat im Jahr 2000 der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) bei der allerersten Botschafterkonferenz am ersten Veranstaltungstag eine Rede gehalten. (dpa, Reuters)