Das folgende Experiment klingt nur auf den ersten Blick sinnfrei: Knapp 250 freiwillige Versuchspersonen sehen durch eine VR-Brille (eine Videobrille) Personen auf sich zukommen. Einige der Gesichter haben einen Hautausschlag, andere nicht. Die Probanden bekommen gleichzeitig ein Teil auf die Wange geklebt, das vibriert. In der Hand halten sie einen Knopf zum Drücken. Wenn es vibriert, sollen sie drücken.
Das Verblüffende: Die Probanden drücken schneller, wenn sie gleichzeitig Personen mit Hautausschlag in ihrer Brille sehen. Personen, die potenziell krank und infektiös sein können. Personen, die eine Bedrohung für die eigene Gesundheit sein könnten – wenn sie echt wären. Das Gehirn der Probanden – so die Erklärung der Forscherinnen und Forscher – war durch die virtuelle Bedrohung in einer Art Alarmzustand. Und konnte schneller reagieren. Soweit nicht wirklich überraschend.
Der Effekt könnte auch therapeutisch von Nutzen sein
Wirklich eindrucksvoll ist aber, dass nicht nur das Gehirn, sondern auch das Immunsystem auf die Hautausschläge der virtuellen Menschen in der Brille reagierten: Blutanalysen zeigen, dass lymphatische Zellen aktiviert wurden. Nur als Reaktion auf den Anblick von Hautausschlägen in einer VR-Brille.
Der Proband weiß natürlich, dass ein solches Abbild keine Bedrohung ist. Sein Immunsystem reagiert trotzdem! Es klingt irritierend, ist aber überaus sinnvoll: Ein Schnellwarnsystem, das schon bei Verdacht reagiert, hat im Ernstfall einen zeitlichen Vorteil. Und ein gelegentlicher Fehlalarm macht nichts.
Wahrscheinlich reagieren Gehirn und Immunsystem auch auf Hinweise über Ohren und Nase, vielleicht auch weitere Sinnesorgane. Es ist naheliegend, diesen Mechanismus auch für Vorbeugung und Therapie von Krankheiten zu nutzen – als sanftes Placebo. Video statt Tabletten? Die Beobachtungen, die in „Nature Neuroscience“ veröffentlicht wurden, sind vielversprechend.